Die Wertigkeit von Zeit

In den ersten Wochen nach der Geburt empfand ich den vermeintlichen Unterschied zwischen Personen mit und ohne Nachwuchs nicht so bemerkenswert. Vor der Geburt hatten´mir ratgebende Mütter die Inkompatibilität von Eltern und Nicht-Eltern groß angekündigt. Sie prophezeiten mir ein Sozialleben ausschließlich unter Müttern.

Falls ich dies ablehnte, drohe die Isolation.

Erstmal gewann ich allerdings den Eindruck, dass sich der Kontakt zu alten Weggefährt*innen eher auffrischte und intensivierte. Alle gratulierten, wollten die kleine Neuangekommene begutachten. Plötzlich tauchten seit einem Jahrzehnt verschollene Bekannte wieder auf.

Außerdem hatte ich nicht zuletzt dank Elternzeit eine unglaubliche Flexibilität, um Verabredungen wahrzunehmen. Alles Schmarrn, was da erzählt wird. Ist doch easy. Bei mir ist das alles anders., dachte ich. Natürlich.

Beim genaueren Hinsehen, stellte ich jedoch fest, dass es sich bei den reaktivierten Kontakten um Personen MIT Nachwuchs handelte. Die OHNE Nachwuchs traf ich hingegen im Vorbeigehen im Supermarkt.

Wir freuten uns, berichteten wie es gerade so lief, bestätigten uns, dass wir uns unbedingt mal wieder länger treffen müssten, weil es ja so schön sei, wenn wir uns sehen und es ja so unglaublich viel zu erzählen gebe, jetzt gerade gehe es aber nicht, weil man ja einen Termin habe, außerdem schreie das Kind ja gerade, doch damit wir es nicht vergessen, lass uns gleich mal einen Termin vereinbaren, wie wäre es, wenn ihr zum Abendessen kommt, ach ne, da bringe ich die Kleine gerade ins Bett, aber vielleicht zum Mittagessen, ach du hast nur noch auswärts Dienst, na gut irgendwann klappt es schon. Ja genau, ich melde mich. Tschüss.

Dabei bleibt es.

Eltern und Nicht-Eltern haben unterschiedlich Zeit. Und damit meine ich nicht, dass man plötzlich abends nicht mehr ausgeht und Party macht. Damit habe ich schon VOR der Geburt meine Tochter abgeschlossen, da mein Hintern und die Couch eine recht rege Beziehung miteinander eingegangen sind.

Nein, damit meine ich, wie unterschiedlich Zeit genutzt wird, sobald sie begrenzt ist.

Wie unterschiedlich die Zeit von Eltern und Nichteltern tickt, wurde anhand des SMS-Verkehrs mit einer von mir sehr geschätzten Bekannten offenbar. Wir waren für 10 Uhr verabredet.

SMS Bekannte, 9:28: “Komm später. Verschlafen.”

(Wie gerne würde ich einen solchen Satz auch mal wieder aussprechen! )

SMS ich, 9:30: “:-) Wann bist du dann da? Wollen wir uns hinter dem Bahnhof treffen?”

In Erwartung einer handelsüblichen Verspätung von nicht mehr als 15 Minuten, wartete ich die Antwort nicht ab, sondern zog mein Kind sowie mich an und spazierte Richtung Treffpunkt. Vor Ort würde ich mir ein Heißgetränk gönnen oder irgendwie anders die Zeit totschlagen.

Das kennt man als Mutter einer Neugeborenen. Da passiert es schnell, dass man selbst oder die mütterliche Verabredung sich verspäten. Gerne warte ich da auch mal länger als das übliche akademische Viertel. Doch meine Bekannte hat keine Kinder. Daran dachte ich, als ich folgende Antwort erhielt.

SMS Bekannte, 10:30: “Na 11. 30?!” 

Ganz ehrlich! Mir platzte fast der Still-BH. Das Verständnis für diese SMS lag in einer fernen Vergangenheit, als ich noch nicht täglich fünf Uhr wach war und bis zum Erhalt der ersten SMS bereits geduscht, gewindelt, Morgensport getrieben, gefrühstückt, Morgenspaziergang, Mittagessen vorgekocht und meine Tochter zwei Mal gestillt hatte. Aufwachrituale eben.

Anderthalb Stunden Verspätung bedeuten ohne Kind, dass der Tagesplan ein bisschen modifiziert wird. Da  liest man bei Kaffee und Croissant halt noch ein Buch. Die Nachrichten. Schlimmstenfalls den Kaffeesatz.

Doch die Schlaf-, Wach- und Still/Esszeiten meines Mäusezahns reglementieren meinen Tagesablauf strenger als jede EU-Verordnung das könnte. Anderthalb Stunden Verspätung bedeuten mit Kind, dass die kostbare Schlafenszeit des Kindes ungenutzt verstreicht!

Anderthalb Stunden Freizeit verschenkt. Anderthalb Stunden ungestörte vis-a-vis Kommunikation verpufft. Anderthalb Stunden die Illusion als Individuum in Kontakt mit anderen und nicht der verlängerte Arm einer Mini-Diktatorin zu sein, einfach so dahin… 

Dementsprechend stillte, windelte und sang ich mich anschließend durch das Treffen mit meiner Bekannten. Wie es ihr geht? Was sie macht? Keine Ahnung. Doch den Windelinhalt meiner Tochter könnte ich noch sehr konkret beschreiben.

Ich gebe es allerdings nicht auf. Ich verabrede mich weiterhin tapfer mit Nicht-Eltern. Sicherheitshalber habe ich allerdings immer Balsam für’s Gemüt dabei: Eine Packung Kinderriegel.

Mama wandert mit Baby

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