Weihnachten in Familie
Weihnachten! Kaum ein Fest, das mit mehr Assoziationen, Bildern und Erwartungen behaftet ist. Schon der Name ist ein Versprechen. Klingt nach Liebe, Licht, Gemeinschaft. Und gutem Essen. Nicht selten sorgen aber gerade die hohen Erwartungen eher für missliche Klänge.
Jetzt stand unser erstes gemeinsames Weihnachtsfest bevor. Wir, d.h. der Mann, Knöpfchen – meine Tochter und ich. Und meine Schwiegereltern. An Heiligabend (Ja, ich weiß….). Die Weihnachtstournee ging schließlich zu meinen Eltern am 1.und 2. Weihnachtstag.
Wie wird es sein? Wie sich anfühlen nicht in der Rolle des Kindes, sondern der Mutter zu sein?
Die Adventszeit
Als Eltern neigt man ja naturgemäß dazu, anlässlich solcher Familienfeste seine eigene Kindheit aufleben zu lassen. Auch ich bin nicht frei davon. Allerdings sind meine Möglichkeiten echt begrenzt. Stichwort: Tannenbaum.
Unsere Wohnung ist zu winzig dafür. Sowieso bin ich überzeugt, mein Mann und ich hätten die harmonischste Beziehung, gäbe es mehr Quadratmeter. Gibt es aber nicht. So drücken, schieben und stolpern wir uns von einem Disput in den nächsten. Der Raumknappheit fiel dieses Jahr dann auch der Baum zum Opfer. Da, wo sein Platz wäre, ist momentan die Spielwiese für Knöpfchen.
Und den Baum zur Spielwiese machen? Nö, möchte ich nicht. Und bevor die Spießerfraktion Ruten läuft, wir haben selbstverständlich politisch korrekt Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen geschaffen. Es gab Tannenzweige, es gab Lichterketten und einen Stern. Alles auf dem Balkon und für jeden sichtbar. Aber eben nur einen Tisch, unter bzw. auf den die Geschenke gelegt werden konnten.
Stattdessen verlagerte ich die Wiederbelebung kindgerechter Weihnachtstraditionen in die Adventszeit. Buk Plätzchen, machte lange Spaziergänge im Winterwald, spielte die Weihnachtslieder meiner Familie. Diese boten nicht selten Anlass für eine mittelschwere Familienkrise.
Durch sie wurde mir gewahr, dass in meiner Jungfamilie zwei unterschiedliche Kindheitserinnerungen aufeinander treffen. In den Familien von meinem Mann und mir gab es offensichtlich völlig gegensätzliche musikalische Traditionen. Beide erhoben wir den Anspruch auf Fortsetzung der jeweils eigenen und lieferten uns regelrecht einen Wettstreit um die musikalische Vorherrschaft. Das ist wahrscheinlich das, woran unsere Tochter sich später erinnern wird.
Wie mag es da in gemischtkulturellen Familien zugehen? Oder in interreligiösen? Ich meine, jeder wünscht sich doch, das eigene Gedanken- und Identitätsgut an den Nachwuchs weiterzugeben.
Mein Mann und ich stammen dabei – soziologisch betrachtet – aus nahezu identischen familiären Hintergründen sowie aus dem gleichen Kulturraum. Aber wahrscheinlich wuppt das deutsch-ukrainische Nachbarspärchen den Aufbau eines neuen Traditionsgebäude für die Familie wesentlich entspannter als wir.
Sie rechnen ja mit Differenzen, stellen sich darauf ein und handeln gemeinsam aus. Während unsereins ob der unerwarteten Gegensätze überwältigt hinterrücks einfach die Stopptaste bei YouTube drückt, die eigene Musik anwählt und darauf hofft, niemand bemerke den Unterschied zwischen kirchlichen Choralgesängen und Frank Schöbel.
WEIHNACHTEN
Wie war es nun? Unser erstes gemeinsames Weihnachten? Diese Geschichte beginnt am 23.12.. An diesem Tag musste ich meine Freundin stehen. Meine gesamte Clique aus Schulzeiten kam in unserem Heimatort zusammen, um den Rücken unserer Freundin zu stärken.
Sie beerdigte ihre Mutter. Es war die erste von uns, die ein Elternteil zu Grabe trug. Morgens packte ich also meine sieben Sachen und fuhr mit meiner Tochter gen Heimat. Wir waren gut drauf und Knöpfchen genoss die Zugfahrt.
In der Heimat angekommen versammelten wir uns alle in einem Café, besprachen die letzten Details. Meine Freundinnen hatten die Kleine zum Teil noch nicht kennen gelernt. Gott sei Dank ist mein Mädchen eine kleine Philanthropin und findet es unheimlich spannend , neue Gesichter zu erkunden.
Plötzlich quickte K.: “Dein Kind läuft aus. ” Ein Satz, den jede Mutter gerne hört…. Besonders kurz vor einer Beerdigung. Und wenn die Wechselsachen vergessen wurden. Da kommt dieser Satz wirklich gut an.
Ich also los. Windeltasche umgehangen und ab zum Wickeltisch. Mist. Alles eingepackt, nur keine Ersatzstrumpfhose. Na egal, erstmal windeln. Windel auf. Doppelmist. Durchfall. Na das kann heiter werden. Was ist das? Blut? Blut! Ach du Kacke.
Und jetzt? In 30 Minuten beginnt die Beerdigung. Und ich will noch stillen. Es ist so klassisch. Murphy ist zu Gast. Gott sei Dank sind wir in einem Einkaufszentrum. Ich stürze in das nächste Geschäft. Kaufe sicherheitshalber zwei Strumpfhosen. Lasse mich schnell von zwei Profimamas in meiner Mädelsrunde bzgl. des Blutes beruhigen.
Ab zum Friedhof, wo ich mein Kind schlafend und ungestillt meiner Mutter in die Hand drücke. Die Beerdigung halte ich kaum aus. Weniger weil ich die Gestorbene gut kannte. Vielmehr zerreißt es mir das Herz, meine Freundin so trauern zu sehen.
In der Stille ahnend, dass ich bald an ihrer Stelle sitzen werde. Und weil ich selbst Mutter bin – ein Kind habe, das mich braucht. Nach der Beisetzung schlittere und rutsche ich zu ebendiesem.
Die Rolle der Freundin bleibt auf dem Friedhof. Ich schlüpfe wieder in mein Mutterkleid. Erhalte meine zufriedene Tochter zurück. Alles gut. Bis ich sie erneut windel. Diesmal kein Stuhlgang, dafür frisches rotes Blut. Mir wird heiß. Blitzschnell gehe ich die Möglichkeiten im Kopf durch.
Hier zum Arzt oder zurück nach Jena? Dort aber wartet nur das Krankenhaus, denn vor 18 Uhr sind wir nicht zurück. Und das vor Heiligabend. Die Entscheidung treffe ich nicht allein. Kurzer Familienrat. Wir beschließen nach Jena zu fahren. Bis Mellingen komm ich mit K. Auf dem Parkplatz ist Treffpunkt.
Ich stelle mir vor, wie wir – gleich den Notfalleinsätzen in Arztserien – mit quietschenden Reifen vor der Notfallambulanz aus dem Auto springen und nach einem Arzt rufen. Doch mein Mann verspätet sich. Der Kühler im Seat hat ein Leck. Murphy, du elender Hund! Lass uns in Ruhe!
Statt quietschender Reifen tuckern wir also mit weich gespülter Schongeschwindigkeit auf das Klinikgelände. Dort irren wir uns im Eingang und treffen statt auf Ärzte mit wehenden Kitteln nur auf einen Pförtner. Der schickt uns zur Kindernotfallambulanz. Diesmal kein Murphy weit und breit. Wir sind die ersten und kommen sofort dran.
Der kleine Dreimäusezahn ist spitzenmäßig drauf. Nachdem meine Tochter das Sprechzimmer in Kleinteile zerlegt hat, der Schock: Sie soll zur Beobachtung über Nacht bleiben. Ich habe die Ärztin im Verdacht, dass sie sich für das lädierte Stethoskop rächen will.
Auf Station werden wir sehr nett empfangen. Zwar sind die Schwestern alle etwas orientierungslos, da der Umzug in die neue Klinik erst drei Wochen zurückliegt und die ultramoderne Technik noch nicht vollends beherrscht wird. Der Rollladen wird hoch statt runter gefahren. Doch wir haben endlich wehende Kittel. Blinkende Messgeräte bekommen wir auch mit auf unser Einzelzimmer.
Ein völlig verstörtes Kind bei der Blutabnahme ist leider auch inklusive. Ihr verzweifeltes Weinen treibt mich dazu, jegliche weitere medizinische Intervention zu unterwandern. Erst wehre ich die Urinprobe ab, da der Klebestreifen des Uringewinnutensils aus ihrem kleinen Popo eine feuerrote Tomate zu machen droht. Schließlich überzeuge ich die Krankenschwester auch davon, das Messgerät für Sauerstoffsättigung abzunehmen. An Schlaf ist bei dem Gepiepse einfach nicht zu denken.
Der ganze medizinische Kram wegdividiert, ist es eigentlich ganz nett. Man höre und staune – sowohl meine Tochter als auch ich schlafen in der Klinik so lange wie niemals nach ihrer Geburt. Allerdings erst in der zweiten Nacht, die wir leider bleiben müssen. Das war sicherlich die Rache für unseres störrisches Getue.
Hätte ich die Urinprobe am dritten Tag nicht schließlich bewilligt, säßen wir wahrscheinlich heute noch da. Heiligabend mit den Schwiegereltern fiel dennoch ins Schmelzwasser vor der Klinik, der Erinnerungswert ist diesem Weihnachten jedoch gewiss.
Woran mein Knöpfchen letztendlich litt? Die Ärzte schleuderten mir Begriffe wie Kuhmilcheiweißunverträgichkeit, Invagination des Darmes, virale/bakterielle Infekte um die Ohren.
Ich entschied mich letztendlich für die Variante unserer Kinderärztin, die wir wenige Tage später erneut wegen Blutfäden im Stuhl aufsuchten. Sie schob es auf den durch das Zahnen verursachte scharfen Stuhl, der die Darmschleimhäute wohl gerne mal in Mitleidenschaft ziehe. Zahnen ist seitdem meine Erklärung für alles.
Kind beißt in die Brust? Es zahnt.
Kind weint in der Nacht? Es zahnt.
Kind verweigert den Brei? Es zahnt.
Sollte irgendwann das Gebiss meiner Tochter vollständig sein, muss dann wohl das Wetter als Erklärungsmuster dienen.
Der einzige Schmerz, der blieb: Es war ein Weihnachten ohne Kinderriegel.

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