Stell Dir vor, Du willst Babysitten und plötzlich musst Du bei der Geburt eines Babys helfen…

Eines ist klar. Ich muss an meiner inneren Geschichtenerzählerin arbeiten. Warum? Die gesamte Schwangerschaft plagten mich Alpträume, die stets dem gleichen Narrativ folgten: Ich, schwanger, schau an mir runter und sehe wie ein Baby aus mir raus flutscht. Ohne Vorwarnung. Einfach so.

Zumeist erwachte ich schweißgebadet und mit der festen Überzeugung, die Vision einer erneuten Fehlgeburt gehabt zu haben. Lange lag ich nach solchen Alpträumen wach und sinnierte vor mich hin, wie ich mit einer solchen Situation in der Realität wohl umgehen könnte. Ich imaginierte den Notarzt, der gerufen werden musste und beschwatzte meine Muttergefühle, sich zurückzuhalten, bis das Baby geboren sei.

Die neun Monate Schwangerschaft hielt ich daher Hoffnung und Freude auf unser Regenbogenbaby auf Sparflamme. Meine eigenen Fehlgeburten hatten mich immer wieder zu nächtelangen Googlemarathons getrieben, in denen ich die absurdesten und traurigsten Schwangerschaftsverläufe zutage förderte, sodass ich diese – meine definitiv letzte – Schwangerschaft nicht mit dieser zauberhaften Naivität wie bei Knöpfchen, unserer Erstgeborenen, wahrnehmen konnte und in permanenter Angst vor einem abrupten Ende lebte.

Tja, und wer hätte gedacht, dass sich meine Träume tatsächlich bewahrheiten sollten? Wenn auch ganz anders als gedacht.

Die letzten Wochen vor dem Geburtstermin verbrachte ich damit, mich endlich ernsthaft auf die Geburt vorzubereiten. Wie auch bei der ersten Geburt massierte ich den Damm, trank Himbeerblättertee und – neu – aß reichlich Datteln. Die haben wohl eine schmerzlindernde Wirkung.

Schritt für Schritt hakte ich meine To-Do-Listen für vor und nach der Geburt ab. Die offenen Punkte verabschiedeten sich nacheinander. Das wirkte wie Balsam auf meine Seele. „Sie wirken richtig erleichtert!“, meinte auch meine Hebamme zu mir als ich zum letzten CTG bei ihr war. Nachdem auf diesem eine erste Wehe zu sehen war, warf sie noch einen Blick in meine Gebärmutter.

Für mich war die Wehe nichts besonderes. Die gesamte Schwangerschaft schaufelte ich Tonnen an Magnesium in mich, um meinen wehenfreudigen Uterus zu zähmen. Sobald ich Anfang Januar die Tabletten ausschlich, begleiteten mich nächtliche Wehen.

„Das Köpfchen sitzt schon schön tieeeef im Becken. Es muss im Prinzip nur noch rausrutschen.“, bestätigte die Hebamme daraufhin und nahm mir dennoch sogleich die Hoffnung auf eine baldige Geburt: „Das hat allerdings noch nichts zu sagen. Es kann heute passieren oder auch erst in zwei Wochen.“

Da unsere Erstgeborene auch eher gemütlich unterwegs war – ich hatte sie ein paar Tage übertragen- freute ich mich auf eine bis zwei Wochen Chillen auf der Couch. Endlich. Und vielleicht noch ein paar Treffen sowie lange Spaziergänge mit Freundinnen.

Doch dann wachte ich in der Nacht vor dem Geburtstag des Mannes – mal wieder – geplagt von Übungswehen auf. Das war 38+4 SSW. Kurz informierte ich den Mann. Der muckte ein bisschen. Wehen? An seinem Geburtstag. Ausgerechnet. Und das nur, weil ich mich nicht geschont hatte. War doch klar. Ich sollte doch auch mal an ihn denken. Wie sollte er das denn gleichzeitig schaffen? Als ob eine beginnende Geburt zu stoppen sei. Gemessen an den Schmerzen ging ich von Übungswehen aus und beruhigte ihn.

Auch Übungswehen konnten veratmet und getrackt werden. Meine kamen im Abstand von zwei Minuten. Da müsste man sogar bei einer Erstgeburt seine sieben Sachen schnappen und schleunigst ins Krankenhaus. Bei Geburtswehen. Doch es waren ja Übungswehen. Ziemlich kurze sogar. Manchmal nicht länger als 15 Sekunden. Immer wieder schlief ich dabei ein. Ich hatte Null Bock ins Krankenhaus zu fahren, meinem Mann den Geburtstag zu vermiesen und dann noch 3-4 Tage vor mich hinzuwehen. So ging es einer Bekannten. Ich blieb also liegen. Morgens waren die Wehen plötzlich völlig verschwunden. Übungswehen eben. Also feierten wir. Der Mann freute sich auf das Kaninchen zum Mittag und bedauerte es gleichzeitig ein bisschen, dass er am darauffolgenden Montag dann doch wieder zur Arbeit musste. Aber geschenkt.

Abends bringe ich Knöpfchen ins Bett. Vorher kuscheln wir drei noch ausgiebig. Ich genieße das unendlich. Ein bisschen Melancholie befällt mich. Wohlwissend, dass sich bald alles ändern wird. Innerlich lasse ich komplett los. Bin nur im Hier und Jetzt. Vollkommen glücklich und zufrieden. Das ist die Startfreigabe: Für eine exorbitante Oxytocinproduktion in meinem Körper. Die setzt die Geburt in Gang.

Noch während ich Knöpfchen ins Bett bringe, bekomme ich eine starke Wehe. Ich gehe auf die Couch (ja, endlich!) und habe zwei lange, intensive Wehen. Danach platzt die Fruchtblase. Der Mann informiert meinen Bruder, das Krankenhaus und will das Auto holen. Ich bekomme eine so starke Wehe, dass ich ihn bitte zu bleiben.

Nach gut 10 Minuten sind die Jungs da, um auf Knöpfchen aufzupassen. Der Mann holt das Auto und ich ziehe mich an. Noch während dessen merke ich die erste Presswehe. Ich brülle meinen Bruder an: „Ruf den Notarzt. Ich schaffe es nicht mehr.“ Dann sinke ich auf den Wohnzimmerboden.

Anschließend macht jeder das, was er am besten kann.

Der Schwager steht an der Straße Schmiere, um den Notarzt einzuweisen. Der nicht kommt.

Der Mann organisiert Handtücher und Schüsseln. Parallel pennetriert er den Notarzt mit Telefonanrufen. Wo sie denn nur blieben?


Der Bruder googelt nach einer To-Do-Liste für eine ungeplante Hausgeburt. Sie sind ihm zu lang. Also massiert er mein Kreuzbein.

Ich schreie wie von Sinnen, hoffe, dass Knöpfchen mich nicht so sieht.

Und Knöpfchen? Schläft und schläft und schläft.

Half Dome – bestiegen 2013 mit meinem Bruder, Schwager und dem Mann. Und 2016 sowie 2022.

Auf die Idee, die Hebamme für die Nachsorge anzurufen und um Rat zu fragen, kommt keiner. So sind wir. Wir Deutschen.

Italiener würden im Wohnhaus die Treppe hoch und runter rennen, um die gesamte Nachbarschaft zu aktivieren und die Verwandtschaft von A wie Alfonso bis Z wie Zara durchzutelefonieren: „Allora, Giovanni, Deine Frau iste Hebamme, Schnell wir brauche Hebamme.“ Worauf Giovanni ganz aufgeregt antwortet, während er seine Frau weckt: „No, no. Die Signora von Michele hatte Tochter, die iste Hebamme.“ Und seine Signora holt erst einmal die Antipasti aus dem Kühlschrank. Iste schließlich eine anstrengende Sache so eine Geburt. Dio mio.

Und wir? Wir haben brav die Telefonnummern unserer Hebammen ins Smartphone gespeichert. Sogar die einzelnen Schritte zur Information der Hebammen NACH der Geburt sind fein säuberlich notiert. Ja, selbst Team A und Team B zur Betreuung der Erstgeborenen haben einen ausgefeilten Handlungsplan mit sämtlichen Telefonnummern und Infos für den Ernstfall erhalten.

Nur – die Nachsorgehebamme unter der Geburt zu kontaktieren? Wer macht den sowas? Ist ja für die NACHsorge zuständig. Und die Geburt gehört ja wohl ganz eindeutig zur Hauptsorge. Ist doch klar.

Also übernehmen wir selbst die Geburtshilfe. Vorsichtig taste ich mich ab und spüre schon das Köpfchen. Es ist absurd. Einerseits habe ich ein absolutes Vertrauen in meinen Körper. Er hat das schon mal geschafft. Ich überlasse ihm die Regie. Mein Bewusstsein zieht sich fasst völlig zurück und ich aktiviere alle Bilder, die wir während des Geburtsvorbereitungskurs imaginiert haben.

Zum dritten Mal in meinem Leben besteige ich den Half Dome. Dieses Bild hat mich bereits bei der ersten Geburt extrem motiviert. Der Aufstieg ist beschwerlich. Scheint unüberwindlich. Der Berg zwingt mich immer wieder dazu, Pausen zu machen, um durchzuatmen. Ich schwitze und stöhne vor Schmerzen. Irgendwann, als ich denke, es geht gar nichts mehr, stehe ich auf dem Gipfel und weiß, jeder einzelne Schritt it is fucking worth it.

Andererseits ist gleichzeitig unterschwellig die Angst da, mein Baby könnte unter der Geburt Sauerstoffmangel oder ähnliche Komplikationen erleiden. Doch die schiebe ich beiseite. Mein Urvertrauen lässt mich alles loslassen. Es wird alles gut werden. Es muss alles gut werden.

Die unfreiwilligen Geburtshelfer haben mich auf die Couch gehievt, entkleidet, die Heizung aufgedreht, das Licht ausgemacht und massieren mein Kreuzbein. Ein bisschen muss ich über meinen Bruder schmunzeln, der das macht, was man aus Filmen kennt: „Pressen, pressen, pressen“, feuert er mich an. Zwischen den Wehen will ich mich aber ausruhen. Und lasse das lieber mit dem Pressen.

Mir macht etwas ganz anderes Sorgen. Die hart gruseligste Vorstellung ever wird real: Ich muss kacken. Wirkliche Verzweiflung macht sich in mir breit.

Nicht hier.

Auf der Couch.

Vor den Jungs.

Da schieben mir die  Jungs etwas unter den Hintern. Problem gelöst. (Vorsicht bei der nächsten Gartenparty! Es handelte sich um unsere Nudelsalatschüssel, wie ich später erfuhr. 😂.) .

Es folgen 2-3 Presswehen. Ich imitiere in meiner Not die Geburt von unserer Erstgeborenen und lege mich in Seitenlage, bitte den Mann mein Bein zu halten. Brüllend mache ich allen klar,

dass ich gerade sterbe,

es nicht schaffe

und sowieso nach Hause will.

Blöd nur, dass wir da schon sind. Mein Bruder versucht mich zu überreden, dass ich es schaffe. Das ist so enorm wichtig. Sein Zuspruch gibt mir Kraft.

Das Köpfchen ist geboren und als der Mann ruft, „Da ist eine Hand“ , weiß ich, wir haben es geschafft. Ich greife runter und ziehe das Baby mit der nächsten Wehe nach draußen.

Unser Fünkchen ist da. Unser Regenbogenbaby.

Für einen Augenblick sind wir ratlos. Ich bitte die Jungs, sie mir zu geben. In dem Moment schreit sie und ich weiß, dass sie lebt. Auf meiner Brust liegend schaut sie mich mit ihren großen, weisen Augen ganz ruhig an. Ich versuche sie zum Saugen zu animieren. Das klappt nicht.


Als mein Schwager völlig überwältigt und gerührt im Wohnzimmer steht, begreife ich, das hier ist wirklich passiert. Ich frage noch schnell nach der Uhrzeit. 21:45 Uhr. Mein Bruder macht geistesgegenwärtig ein paar Fotos. Sie dokumentieren, dass ich es nicht einmal geschafft habe, meine Jacke auszuziehen.

Dann kommen schließlich Sanitäter und Notarzt nacheinander rein. Wie die vier Leute da so orientierungslos in unserem Wohnzimmer stehen, bin ich froh, dass alles schon vorbei ist. Sie scheinen auch nicht so richtig zu wissen, was zu tun ist. Sie packen mich auf eine Trage und dann ab in den RTW.

nach der Geburt

Im Kreißsaal angekommen, ist Schluss mit Friede, Freude, Eierkuchen. Mir wird als erstes Oxytocin gegeben, so dass die Plazenta geboren wird und ich die Nabelschnur durchschneiden kann. Auch mal eine Erfahrung. Sie ist auspulsiert. Ich habe einen Dammriss 1. Grades. Während die Ärztin mich näht, wird unser Fünkchen gemessen und angezogen.

Der Mann ist inzwischen auch da. Er hat vorher Zuhause noch aufgeräumt. Das ist er. Der Mann. Ordnung muss sein. Wäre er der ukrainische Präsident würde er Putin in den aktuellen diplomatischen Verhandlungen nicht darum bitten, sein Land zu verschonen, sondern einen Aufschub aushandeln, damit er erst noch die Waffenlager in Ordnung bringen könnte. Wobei… Würde er nicht. So organisiert, wie der Mann ist, gäbe es nichts in Ordnung zu bringen. Wäre alles bereits penibel geordnet.

Der Zuckerwert von Fünkchen ist zu niedrig. 1,8. Plötzlich zuppeln der Mann und die Hebamme an meinem Busen rum, um Fünkchen zum Trinken des Kolostrums zu animieren. Sie ist zu müde und erschöpft. Mich stresst das Gezuppel. Es klappt nicht. Über eine Sonde erhält sie Milch. Der Wert stabilisiert sich. Ich darf aufstehen und auf das Klo. Dann warten der Mann und ich auf die Verlegung zur Wochenstation. Wir sind noch nicht in der Lage über das Erlebte zu sprechen.

Auf der Wochenstation verabschieden wir uns und ich darf erst einmal essen. Glücklicherweise bin ich alleine auf dem Zimmer. Kurz vorm Einschlafen realisiere ich überglücklich, dass meine Alpträume keine Vorboten einer Fehlgeburt, sondern vielmehr Visionen einer Sturzgeburt waren.

Insgesamt hat Fünkchens Geburt vom Platzen der Fruchtblase bis zur Austreibung 36 Minuten gedauert. 13 Minuten bis mein Bruder und mein Schwager da waren. 23 Minuten bis der Notarzt da war. Und Knöpfchen hat alles verschlafen. Rückblickend betrachtet haben sich alle meine unbewussten Wünsche erfüllt. Ich hatte eine sehr friedliche, interventionslose, schmerzarme Hausgeburt im Kreise meiner Liebsten.

Gut, ich hätte mich gerne mental darauf vorbereitet, irgendwie ’nen Plan und professionelle Begleitung durch eine echte Hebamme gehabt. Doch mal ehrlich, Kontrolle wird echt überschätzt. Und der Schwager, der Bruder und der Mann als Geburtshelfer haben das echt spitze gemacht. Ein Dank an dieser Stelle an die drei für ihre grandiose Unterstützung. Ich hätte es nicht anders haben wollen.

Hätte ich gewusst, dass man Eröffnungswehen und Übungswehen verwechseln kann, hätte ich weniger Datteln gegessen, die Hebamme früher und den Notarzt später angerufen. Allerdings frage ich mich ernsthaft, ob mein Bruder nochmal zum Babysitten kommt?

Die Hibbelhonkreihe – meine Kinderwunschzeit und Schwangerschaft:

Dieser Beitrag ist ein Beitrag zur Blogparade von http://www.herzens-mama.de, die du hier findest: https://herzens-mama.de/blogparade-2022

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