Wandern mit Kleinkind ist das neue Work & Travel der Eltern

Reisen als Beruf. Das wäre mein Traum. Gerne hätte ich Corona dafür zur Verantwortung gezogen, dass sich mein Wunsch bisher nicht erfüllte. Konnte ich aber nicht. Ganz herkömmlich mussten fehlende finanzielle Mittel als Ursachen herhalten. Gerne schob ich auch meine Mutterschaft vor. So ein Kind hält einen aber auch von allem ab. An einem besonders schlechten Tag war mein Partner verantwortlich. Genau wie er für Kurzarbeit, Corona und die Hand-Mund-Fuß-Krankheit verantwortlich war. Tatsächlich war die Wahrheit recht banal: Mir fehlte es an Mut. Und Kreativität. Mut, den ersten Schritt zu gehen. Und Kreativität, alternative Finanzquellen zu erschließen.

Dafür war ich gut in Strukturieren, Planen und schrittweise Dinge umsetzen. Daher beschloss ich, dieses Jahr die Welt zu Fuß zu erobern. Dank vierjähriger Tochter bedeutete die Welt für den anstehenden Urlaub, 30km auf der Saale-Horizontale zu wandern. Zugegeben, das waren nicht gerade Australien, die Serengeti oder der Kilimandscharo. Immerhin geht der schmale Pfad entlang von steilen Muschelkalkhängen. Auf der gesamten Route überwindet man knapp 3.500 Höhenmeter, hat 16 Gelegenheiten ein kühles Bier zu trinken und gewinnt durch mediterranes Flair den Eindruck, ein paar Breitengrade südlicher unterwegs zu sein. Geplant waren auch nur drei Tage. Das Nomadendasein durfte warten. 

Pfingsten nutzte ich also, um mich ans Reißbrett zu setzen und die Wanderung zu planen. Doch wie planst du eine Wanderung mit einem vierjährigen Naseweis? Wieviel Kilometer läuft dieser eine Meter? Was benötige ich an Utensilien? Und wie sollen die in meinen kleinen Rucksack passen – der laufende Meter trägt bestenfalls seine Quetschis? Bringe ich ein Kind im Regen dazu, trotzdem weiterzugehen? Kann ich ein Bökchen verhindern, wenn die Steigung 16% beträgt oder muss ich den Meter längs nehmen und dann den Berg hinauf rollen?

Meine Wandererfahrungen mit meiner Tochter begrenzten sich bisher auf Geocaching in den Bergen und Wanderungen zu Zeiten als ihre 16 kg Körpergewicht noch 10kg betrugen und locker größere Distanzen auf den Schultern getragen werden konnten. Nackenverspannungen inklusive. Ich erstellte eine Gepäckliste, eine Einkaufsliste und einen Routenplan – Liste und Pläne waren mein persönliches Sabbatical für den Kopf. Somit wusste ich, was ich brauchte, wo ich es brauchte und wann ich es brauchte. Liste sei Dank musste ich es mir nicht merken. Freiheit für’s Hirn.

Grashüpfer

Spontan verbündete ich mich mit einer wandererfahrenen Mama und unternahm zusammen mit ihr und ihrer Tochter eine Wanderung entlang der Saale-Horizontale. Wir starteten an der Haltestelle Naumburger Straße, wanderten über den Heiligenberg und bogen beim Rautal auf eine Alterntivrunde. Die Kinder machten gut mit und abends belohnte uns der Ehemann meiner Freundin mit Pizza.

Die Probezeit als Wanderfamilie brachten mir wichtige Erkenntnisse:

  1. Ich hatte die Horizontale-Etappen zu großzügig geplant. Bei einer Schrittgeschwindigkeit von 2 km/h waren zweistellige Kilometertagesstrecken im Bereich der Utopie.
  • Die Startzeit musste mindestens zwei Stunden nach vorne verlagert werden, sonst beginnt die Wanderung mit dem Mittagessen. Schließlich sind die Anreise und Anwege zu berücksichtigen.
  • Wir brauchten Wanderschuhe für meine Tochter. Seltsamerweise schienen die Quadratlatschen in den letzten zwei Monaten schon wieder 1cm gewachsen zu sein.
  • Singen und Geschichten erzählen, bringt uns jeden Berg hinauf.
  • Blumen und Vögel bestimmen kostet zwar Zeit, hält aber die Neugier und Freude an der Natur aufrecht.
  • Immer eine Notfallstärkung in Form von Industriezucker im Rucksack haben. Wenn die Füße schmerzen, hilft kein Möhrchen, sondern Smarties und Gummitierchen.

Ich fühle mich gut gerüstet für die Eroberung der Welt mit Kind. Jetzt muss nur das Wetter durchhalten.