Es gibt ein neues Wort für Hohn: Familienbonus
Vorangestellt sei gesagt, dass ich gerne in diesem Staat lebe und das System sehr schätze. Ich habe das Glück, andere Gesellschaftssysteme erlebt zu haben. Daher weiß ich genau um die Vorteile unseres Staates und neige nicht dazu, ihn allzu kritisch zu verurteilen. (Eine Eigenschaft, die meinen Mann regelmäßig auf Palmen heimisch werden lässt.) Doch der Familienbonus kitzelt auch in mir die Wutbürgerin hervor.
Was machen die 300,00 € Familienbonus in dem Leben meiner Familie?
Die 300,00 € betreuen unser Kind, wenn die gruppenbezogenen Erzieherinnen krankheitsbedingt ausfallen und deswegen die Öffnungszeiten unserer Gruppe verkürzt werden.
Die 300,00 € entlasten unsere Erzieherinnen von dem unsäglichen Druck, dass sie bei Erkrankung genau wissen, dass insgesamt 17 Familien also 34 Arbeitgeber ihren Alltag kurzfristig umorganisieren müssen.
Die 300,00 € organisieren unseren Alltag neu, wenn es zur Schließung der Kitagruppe kommt.
Die 300,00 € führen mit mir und meiner Tochter den Antikörpertest jedes Mal in den nächsten 1-2 Jahren durch, wenn ich zu meinen vorerkrankten Eltern fahre.
Die 300,00 € gehen für mich zur Blutspende, wenn ich wegen verkürzter Betreuungszeiten mein Kind betreuen muss.
Die 300,00 € behandeln mich medizinisch, wenn ich vor lauter Müdigkeit beim Radfahren mit einem Auto kollidiere?
Die 300,00 € erinnern meinen Arbeitgeber daran, dass nicht nur kinderlose Mitarbeitende durch die Krise geführt haben, sondern Eltern unsichtbar im Home Office virtuelle Teamsitzungen führten, während sie parallel Nudeln kochten und mit dem Kind Fußball spielten.
Die 300,00 € löschen den Herdbrand, den ich vor lauter Konfusion ausgelöst habe, indem ich die falsche Herdplatte anstellte.
Die 300,00 € durchbrechen nachts um 3:00 Uhr meine Gedankenspirale, sodass ich wieder ruhig schlafen und am nächsten Morgen erholt aufstehen kann.
Die 300,00 € bewahren die Elterngeneration 2020 vor dem kollektiven Burnout.
Und wie hilft euch der Familienbonus?
Ja, ich weiß, kein Staat, keine Nation, keine Führung der Welt ist für Corona verantwortlich (Außer vielleicht Xi Jinping, der sich kichernd auf der Chinesischen Mauer den Corona-Impfstoff spritzt:). Doch wir sind verantwortlich für die politischen Entscheidungen, die wir in den Zeiten von Corona treffen.
Der Familienbonus wird gefeiert wie ein Sieg. Jedoch ist er ein Pyrrhussieg. Er suggeriert, Familien würden gestärkt. Tatsächlich wird nur die Kaufkraft gestärkt. Das ist auch das offizielle Ziel. Indirekt mag die Unterstützung über die Steuern auch irgendwann bei den Betreuungs- und Bildungseinrichtungen ankommen. Doch währenddessen geht meine und die Arbeitskraft von vielen Eltern flöten, weil es bei einigen bereits einer Teilzeitstelle bedarf, um die Logistik des eingeschränkten Schul- und Kitabetriebs zu bewältigen.
Gleichzeitig soll der Familienbonus „die soziale und ökologische Transformation unserer Wirtschaft vorantreiben“. Dafür lässt die Große Koalition insgesamt 4,3 Milliarden Euro für den Familienbonus springen. Für jedes Kind 300,00 €. Das wäre ungefähr so, als erhielte jeder Autofahrende eine Sicherheitsprämie in Höhe von 300,00 € für die Fahrsicherheit auf Autobahnen, statt den Gesamtbetrag in ein flächendeckendes Notrettungssystem für die Autobahnen zu investieren.
Ist es nicht sinnvoller, eine Familientaskforce in jedem Bundesland zu bilden, die nach Objekten für Betreuungseinrichtungen sucht und diese aufbereitet, die Personal rekrutiert und qualifiziert; zusätzliche Strukturen schafft, die die Betreuung und Bildung unserer Kinder nachhaltig sichern. Sorgearbeit ist ein wirtschaftlicher Faktor. Wir bezeichnen medizinisches Personal, Verkäufer*innen, Müllabfuhrleute etc. als systemrelevant. Doch die Sorgearbeit, die von Erzieher*innen, Lehrer*innen UND ELTERN geleistet wird, machen all das erst möglich. Also stärkt sie! Und zwar nachhaltig!
Ich verstehe, dass es keine schnelle Lösungen für die Pandemie gibt. Doch ich weiß, dieser Familienbonus ist schnell verbranntes Geld. Vielleicht trägt der Bonus schlichtweg aber auch nur den falschen Namen?