Schulhonkgeschichten Nr. 1: Täglich grüßt das Schulhonk

Herbstferien! Verschnaufpause. Wir fahren fliehen in den Urlaub. Wir lassen den Alltag hinter uns. Einen Alltag mit Schule.

Kurz zur Erinnerung. Seit September haben wir ein Schulkind. Unsere Große kam mit 6 Jahren in die Grundschule. Damit war sie kein Knöpfchen mehr, sondern ein Knopf.

Wie war der Schulstart? Sagen wir es so: Kalt duschen ist angenehmer.

Meine Tochter, der kleine Schulhonk, hielt es mit Julius Cäsar: Sie kam, sie sah, sie rannte weg. Das Konzept Schule fand sie – gelinde ausgedrückt – kacke. Und schloss sich damit einer breiten Bildungskritik in Deutschland an. Sie forderte eine Bildungsrevolution. Back to Kita!

Da war ich sehr gefordert, ihr etwas schmackhaft zu machen, an das ich mich selbst kaum erinnern konnte. Wie wir es der Schulunlust mal so richtig besorgten oder auch nicht, erfahrt ihr hier. Mit diesem Beitrag nehme ich teil an der Blogparade von Mutter & Sohn Blog zu dem Thema #Schulstart.

Read it, like it or leave it.

Tag eins bis vier verlief völlig unspektakulär. Ab Tag fünf litt sie an Schulträgheit oder bessergesagt: Jeder Schulgang fühlte sich an wie zu fester Stuhlgang. Knopf gab 100 %.

Ich will nicht aufstehen: 33%

Schule ist doof: 33%

Ich bleibe zuhause: 33%

Wo ist mein Kakao: 1%

„Lerne lesen, rechen und schreiben, damit du eines Tages genug Geld für den Psychotherapeuten verdienst, den du nach meiner Erziehung brauchst.“, wischte ich ihren Widerstand beiseite und brachte sie zur Schule.

Am Eingangstor zog sie eine Grimasse. Am Haupteingang zeterte sie. Am Spint flehte sie: „Bring mich in die Kita!“

J-e-d-e-n                           v-e-r-d-a-m-m-t-e-n                                   M-o-r-g-e-n.

Mein inneres Angstmodul lief auf Hochtouren. War sie nicht schulfähig? Hätten wir sie zurückstellen sollen? Bekam sie einen Knacks und musste womöglich Influencerin werden?

Das war der ideale Zeitpunkt für all die Schlauhonks, um die Ecke zu biegen und zu schlaumeiern: „Deine Ängste sind Teil des Problems. Entspann dich doch!“

Dafür hatte ich genau eine Antwort.

Endgültig:

„ENTSPANNT EUCH SELBST, IHR DUMMBRUNSEN! ICH WILL EURE REAKTION SEHEN, WENN EUER KIND WEINT UND HEULT UND IHR HILFLOS SEID!“

Sorry, das musste raus. Ich bin sonst nicht so.

Wenn mir jemand sagte: „Bleib entspannt. Das überträgt sich auf das Kind.“, reagierte ich spätestens seit meinen drei Fehlgeburten extrem allergisch. Der Appell war genauso sinnfrei wie zu fordern: „Denk nicht an einen rosa Elefanten!“

Na, woran dachtet ihr gerade?

Genau!

Denkt nicht mal dran!

Ich habe eine Python auf Händen getragen, mich den Grand Canyon runter und wieder hochgeschleppt und vor einer hundertköpfigen Seminargruppe auf Russisch einen Vortrag gehalten. Das ließ mich alles kalt. Ich war angstbefreit. (Na gut, die hundert Köpfe haben mich schon etwas eingeschüchtert.)

Doch bei den Emotionen meines Nachwuchs’ entpuppte ich mich als Bemme de luxe. Knopfs Tränen triggerten mich extrem. Mich überrollte quasi ein Tragger. Das war der Moment, in dem ich dachte, feministische Freiheitskämpferin wäre doch die bessere Berufswahl gewesen. Zu spät. Ich war bereits Mutter. Eine Mutter, die beim Verlassen der Schule bis zum Tor die Tränen zurückhielt. Und dann jämmerlich schluchzte.

Das Absurde: Nachmittags holte ich stets ein überglückliches Kind ab. Das vor Selbstvertrauen nur so strotzte. Was sie nicht daran hinderte, sich zu beschweren: „Alle sagten Schule sei schön. Schule ist gar nicht schön.“

Ich: „Was ist sie denn dann?“

Knopf: „Anstrengend.“

Ich: „Wie sollte Schule deiner Meinung nach denn sein?“

Knopf: „Na, mit Spielen. Und mit Manu.“ (*Deckname ihrer ehemaligen Erzieherin)

Aha. Logisch. Wie Kita eben. Mein Mädchen ist eine echte Bildungsrevoluzzerin!

Da begriff ich, dass Knopf gerade eine wichtige Lektion lernte. Dinge fielen nicht in den Schoß. Es war wichtig, sich zu bemühen, sich anzustrengen und Ausdauer zu beweisen. Und auch mal etwas auszuhalten, was sich nicht wie spielen anfühlt. Wie praktisch. Genau die Lektion, die ich gedachte, bei Gelegenheit zu vermitteln.

Wow. Ich war vielleicht ein Spitzenvorbild. Weinte schon beim kleinsten Widerstand. Das mit dem Heulen konnten wir halt. Ich erinnerte mich, als Knopf vor 6 Jahren kam, raubte sie mir mit ihrem Weinen meinen Schlaf. Jetzt anscheinend meinen Verstand.

Hm. Moment mal. Der Gedanke gefiel mir. Was, wenn Knopfs Unwille lediglich Dreimonatskoliken sind??? Sie benötigte drei Monate nach der Geburt, um sich an die Welt außerhalb des Uterus anzupassen. Vielleicht brauchte sie nun ebenfalls drei Monate, um sich an die Welt außerhalb der Kita anzupassen?

Ich legte meinen Jahresvorrat an K-Schokolade beiseite. Und beschloss, die mannigfaltigen Gelegenheiten zu nutzen, meine während des Wackelzahnpubertätsanfalls im Frühjahr erworbenen pädagogischen Fähigkeiten an den Mann bzw. an das Kind zu bringen. Was war das?

#Herzchen auf die Hand 💕Das Kuliherzchen kam zum Einsatz. Erst malte Knopf auf meine, dann auf ihre Hand ein Herzchen. Bei Sehnsucht rieb sie fest daran. Gelegentlich etwas zu fest, sodass die Hand kein Herz, sondern einen roten Fleck hatte.

#Herzensgegenstand 🐻Die Hortnerin vereinbarte mit Knopf, ausnahmsweise ein Plüschtier in die Schule mitzubringen. Bescheiden wählte unser Knopf einen 60 cm großen Schneemann – Olaf aus die Eiskönigin – aus. Passte leider nicht in den Rucksack.

#Heimlichkeiten🤫Ich versteckte ein Bild von uns beiden in ihrer Federmappe. Wir vergaßen es beide. Doch allein, dass sie ein Geheimnis mit in die Schule nahm, fand sie recht cool.

#Hymne auf den Mut🎶Wir sangen morgen für morgen “Sei mutig und stark”. Wir sangen schräg, laut und mit Begeisterung. Bis ich merkte, dass ich mehr mir als ihr Mut damit machte.

#Handlungen ausdenken📖Am meisten halfen ihr Geschichten. Sie bestimmte Hauptfigur und Ort, während ich mir ein skurriles Problem ausdachte, dass mit noch skurrileren Strategien gelöst wurde. Die endgültige tatsächliche Lösung steuerte sie bei. Das beschäftigte uns meist bis zum Schultor und ließ keine Zeit für komische Gedanken.

#Handschlag🤜🤛Für die Verabschiedung hatten wir uns einen eigenen Handschlag ausgedacht. Mit ganz viel klatsch, bzzz, tsch und tataaaa. Wir trainierten einen Abend lang, bis wir ihn intus hatten. Am kommenden Tag stritten wir vor der Schule über die korrekte Reihenfolge. Selbstverständlich hatte ich über Nacht alles vergessen. Lachend nahm ich Knopf in den Arm: „Komm, wir machen es zusammen falsch, dann ist es weniger schlimm.“

(Mein Gedächtnis gab Stoff für mindestens hundert Artikel „Mama werden mit 40“. Leider vergaß ich bisher, sie zu schreiben. Nun ja.)

Schulkind

So verbrachte ich also meine Vormittage damit, Meisterstücke in Motivationstraining abzuliefern. Wir ritualisierten uns durch den Tag. Sangen, klatschten ab, versteckten Geheimbotschaften, kuschelten, zeichneten Zeichen auf die Hand, lasen vor. Ich zog alle Register.

Allerdings benötigte ich nicht nur einen Koffer an Strategien, um meine Tochter aufzufangen. Unverzichtbar waren auch die Strategien, mich selbst aufzufangen. Denn mein Herz und Hirn fühlten sich mächtig durchgenudelt an. Häufig fuhr ich mit dem Rad einfach auf einen Berg. Das befreite meinen Kopf.

Ich stellte so ziemlich alles in Frage. Ich zweifelte an mir, meiner Erziehung und Olaf Scholz’ Doppelwumms. Gleichzeitig suchte ich den Austausch mit anderen anonymen Mamaholikerinnen. Hier fand ich Tipps und das Gefühl, trotzdem normal zu sein. Woher kommt eigentlich diese bescheuerte Wunsch, normal sein zu wollen. Selbst nach 40 Jahren?

Frau Rückblick
Mental Loading

Gamechanger für mich war der Gottesdienst der Gemeinde am Lutherhaus Jena. Im Gegensatz zur Einschulungsfeier in der Grundschule spielten Stillsitzen, Lesen und Schreiben keine Rolle. Im Mittelpunkt standen die Gefühle, die der Eintritt in die Grundschule hervorrief. Es ging um Angst, Mut und Vertrauen in sich selbst.

Es gab ein kurzes Theaterstück, dass die abstrusen Ängste von Schulkindern ernst nahm. In dem Schauspiel befürchtete ein Kind, dass es die Lehrerin womöglich nicht verstand: „Was, wenn die Lehrerin nur Latein spricht, Mama?“. Schnell steckte die Mutter ein Lateinwörterbuch in den Ranzen. Ich sah regelrecht, wie Knopfs Hals länger und länger wurde. Sie lachte herzhaft über die Verzögerungstaktiken des Kindes.

Als mein Knopf eine Woche später nach einem Russischwörterbuch verlangte, wunderte ich mich nicht. Und gab ihr eines mit.

Dann kam ihre Klassenlehrerin auf mich zu und sprach mich an, ob ich ein paar Tipps benötigte. Während ich dachte: Wow, jetzt beginnt ein jahrelanger Leidensweg einer Schulverweigerin, spitzte mein Knopf die Ohren.

Klack. Ein Schalter wurde umgelegt.

Am gleichen Abend kam sie zu mir und schlug vor, in kleinen Schritten den Abschied zu gestalten. Keine Rückzieher!, war unser Motto. Jeden Tag wurde es fortan besser. Jeden Tag lief dieser Ranzen mit zwei Beinen stärker, selbstbewusster und fröhlicher in die Schule. Einfach so.

Trotzdem nahm ich das Gipfeltreffen Klassenlehrerin – Mama wahr. Vor dem Gespräch war ich aufgeregt wie ein Schulkind. Ich musste mich mehrfach daran erinnern, dass ich bereits 40 Jahre alt war. Kurz bevor ich zuhause loslief, fiel mein Blick auf die Packung mit K-Riegeln.

Galt das als Bestechung? K-Schokolade! Das war ein Grundnahrungsmittel. Sicherheitshalber packte ich eine Packung ein. Schaden konnte es nicht. Entweder freute sich die Lehrerin. Oder eben ich. Wahrscheinlich bekam ich gleich ein Referat zum Thema Entspannungstechniken und Loslassen. Das ertrug ich nur mit erhöhtem Zuckerspiegel. Ich erwartete eine gewaschene Standpauke alá Lassen Sie ihr Kind los! Trauen Sie ihrem Kind etwas zu!

Stattdessen dankte mir die Klassenlehrerin und erzählte mir einen Schwank aus ihrer dunkelsten pädagogischen Vergangenheit als Mama. Auch ohne Schokolade fühlte ich mich einfach nur verstanden! Es fühlte sich an wie nach Hause kommen. Es fehlte nicht viel und ich hätte mich schluchzend an ihre Brust geworfen.

Dann hörte sie mir zu. In fünf Minuten packte ich mein alltägliches Dilemma als verängstigtes Mamahonk. Ich war bereit, der Frau meine Lebensgeschichte in Vers gebundener Sprache darzulegen. Geduldig lächelte sie. Ein ruhiges, wissendes Lächeln. Ich schwöre, wenn mich morgens im Spiegel ein solches Lächeln anlächelte, ich bräuchte nie wieder C12H22O11. Auch als sie mir erklärte, dass Knopf das Gefühl von Kontrolle und Überschaubarkeit benötige und das inzwischen sehr gut machte, lächelte sie.

Abschließend gab es doch noch etwas für die Zitatesammlung: “Bildung beginnt mit kleinen Schritten und endet mit großen Taten.”, verabschiedete sie sich, biss in ein rot-weiß umwickeltes Schokodingens und zwinkerte mir zu. Oder träumte ich das nur?

Fotos: Pixabay (Außer die, auf denen ich, meine Hände und Wein zu sehen sind)

Mama wandert mit Baby

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