Gewinnt David eigentlich immer gegen Goliath?

Vom absoluten Rennrad-Underdog zum Radfahr-Superradstar – das war das Sommermärchen, das ich 2023 erzählen wollte. Gut, mit meiner Ausgangsverfassung schien ich nicht prädestiniert für die Tour de France und Giro d’Italia. Schon klar.

Doch in meinem verquirlten Kopf etwarf ich ein spitzenmäßiges Skript:

Szene 1: Mamahonk stillt nächtelang zahnendes Kind und schwingt sich schließlich völlig übernächtigt, mit fettigen Haaren auf’s Rad.

Szene 2: Mamahonk trainiert und bricht erschöpft zusammen. Sie will aufgeben. Der edle Ritter kommt und spricht ein paar gute Worte! (Frauen glauben grundsätzlich nicht an sich und jede Story benötigt einen maskulinen Helfer. Weiß ich von den Gebrüder Grimm*ironieoff*)

Szene 3: Mamahonk steht auf, trainiert weiter.

Szene 4: Mamahonk trainiert und trainiert und trainiert.

Szene 5: Ein Jahr später radelt Mamahonk als superschlanke Schönheit im Spitzenraddress auf dem Rennrad und mit wehenden Haaren das Stilfser Joch hinauf. Lächelnd und nicht leidend.

So die Idee im August 2022. Und ich radelte los. Nach Schwangerschaft und Geburt gab mein Gewicht zwar Anlass für markerschütternde Schmerzensschreie nicht nur meiner Waage, sondern auch meiner Waden. Doch da mussten sie durch, die Weicheier. Immerhin Szene 1 bekam ich in den Kasten. Die restlichen Szenen entsprachen jedoch nicht so ganz dem ursprünglichem Plot. Könnt ihr hier nachlesen.

Es sei denn, ich schrieb das Drehbuch um.

Denn die furchtbare Realität – ich nahm kein Kilogramm abab, die Haare fielen mir durch die Stillerei weiterhin periodisch aus, sämtliche Knochen taten weh und ich war voller Angst vor der Fahrt auf das Stilfser Joch (Küchenpsychologische Studien haben gezeigt, dass die gehäufte Verwendung des Wortes Angst, die Angst steigert, deswegen ersetze ich das Wort durch Respekt):

Respekt vor Gegenwind, Regen, Hitze, Kälte – egal, alles doof

Respekt vor dem Verkehr (und dass ich einen kilometerlangen Stau verursachte)

Respekt vor der Begegnung von Kondition und Steigung (insbesondere in den Kehren)

Respekt vor Technikschäden

Respekt davor, dass sich meine verstopfte Nase doch als herkömmlicher Schnupfen und nicht als jahrelang ignorierter Heuschnupfen erwies. Heuschnupfen = harmloses Übel. Schnupfen = sportliche Belastung mit Erkältung = Herzmuskelentzündung Tatsächlich stand ich kurz davor, meinen eigenen Nachruf zu verfassen.

Respekt davor, dass der Schmerz in meinem rechten Handgelenk auf eine Entzündung hindeutete.

Respekt vor leeren Trinkflaschen.

Eines schien klar, entweder ich verdurstete, stürzte oder wurde überfahren. In jedem Fall endete die Geschichte in meinem Kopf, immer mit meinem tödlichen Versagen.

Das Einzige, wovor ich keinen Respekt hatte, war das Frühaufstehen.

Das reichte mir, um mein Vorhaben trotzdem strotzend vor Selbstvertrauen (*hust*) anzugehen. Schließlich bestand damit die reale Chance, morgens um 7 Uhr am Fuße des Stilfser Jochs mit meinem Rad zu stehen. Naja, und wenn ich da stand, konnte ich ach gleich hochfahren. So, mein Plan. Ich Fuchs.

Doch die Fahrt scheiterte nicht an Wetter, Verkehr oder meinen Ängsten…

Gefahr drohte aus ganz anderer Richtung

“Bitte Schlüsselbatterie wechseln” war wahrlich nicht der Text, den wir im Display des Autos lesen wollten, als wir morgens um 2 Uhr in den wohlverdienten Jahresurlaub starteten. Vor allem nicht, da der Ersatzschlüssel die gleiche Reaktion des Displays hervorrief. Und schon gar nicht, wenn in den Radionachrichten in Sekundentakt vor dem Superstauwochenende gewarnt wurde, weil in den bevölkerungsreichsten Bundesländern Deutschlands Ferienbeginn war.

Bundesländer, die wir auf der Fahrt nach Südtirol durchqueren mussten.

Endete unser Urlaub etwa, bevor er begann? Hektisch durchwühlte ich unser Batterielager nach eine CR2032. Ich wusste, dass wir genau diesen Typ brauchten. Woher? Seit 3 Monaten hegte ich den Plan, sie zu kaufen. Aus gutem Grund.

Bei der Absicht blieb es jedoch. Stattdessen schob ich sie von einer To Do Liste auf die nächste. Verdammt! Mein Versäumnis trug nicht gerade zur Gelassenheit des Mannes bei. Knopf war auch ziemlich gut darin, ihren Zweifeln an unseren baldigen Start in den Urlaub Ausdruck zu verleihen. Nur die Kleinste unterstützte mich mit allen zur Verfügung stehenden Kräften: Sie schlief.

Erstaunlicherweise entdeckte ich eine alte Knopfzelle. Mit erhobener Faust eilte ich zurück in die Tiefgarage und präsentierte die Batterie. So mussten sich Messiasse fühlen.

Hektisch tauschte der Mann die Batterien aus und betätigte den automatische Verriegelung. Nichts geschah. Nervös versuchte er das Auto zu starten. Es sprang nicht an. Verdammt! Auch leer.

Wir entschieden, dass die kriminalstatistische Quote im Vinschgau durchaus dafür sprach, ein Auto nachts ungeöffnet in einem Vierhausdorf stehen zu lassen. Und starteten minimal gestresst in den Urlaub. Nur um festzustellen, dass halb Deutschland diesselbe Spitzenidee hatte, die angekündigten Staus durch Nachtfahrten zu umgehen.

Pünktlich zur Öffnung des Hornbachs trudelte Familie Mamahonk in München ein. Dort gab es Batterien und ein WC für alle.

Stilfser Joch – My personal Goliath

Am 31. Juli 2023 schließlich war es so weit. Zusammen mit dem Mann und Fünkchen fuhren wir nach Gomagoi. Schnell noch ein Starterfoto und es trat der Moment ein, auf den ich fast ein Jahr hingefiebert hatte.

Da war er.

Dieser eine lebensverändernde Moment, in denen Weicheier zu Herkules mutierten. Die Sekunde, in der meine Xenia-Gene aktiviert wurden? Ich spürte wie der David in mir, die Steinschleuder erhob und zielte. Wie ich mich auf den Sattel schwang, spürte ich tief in mir: Ich besiege den Stilfser David.

Gomagoi

Ich war nicht mehr zu bremsen. Der Start in Gomagoi erwies sich als goldrichtige Entscheidung. Schon nach 1,5 km passierte ich die erste Kehre von 48. Das motivierte enorm.

Das Wetter war perfekt. Die Sonne schien und es war angenehm frisch.

Der Verkehr war moderat. Dank der frühen Uhrzeit fuhren kaum Kraftfahrzeuge. Ich war nahezu allein. Hin und wieder kam mir ein Rennrad entgegegen. Eine Kehre nach der anderen purzelte.

Die Radkleidung saß. Ich trug eine einfach Laufhose und ein Trainigsdress von anno als Schröder noch Kanzler war. Zugegeben sah meine Radkleidung und mein 20 Jahre alter Helm neben den hochgepimpten Rennradfahrer*innen mit ihren High-End-Radtrikots und Clickpedalen etwas merkwürdig aus. Doch ich straffte selbstbewusst die Schultern und dachte: “Ich darf das, schließlich hatte ich eine Kindheit in der DDR der 80er.”

Hin und wieder legte ich eine Pause ein, postete ein Foto im Familienchat, trank etwas und versuchte mich zu lockern. Meine Dehnungsübungen erinnerten mehr an eine rituelle Faultierjagd als an Muskellockerung. Vermutlich lag es daran, dass ich schon bald von einem mürrischen Rudel Murmeltiere begleitet wurde.

Ab 9 Uhr kamen die Motorradfahrer. Ihnen folgten die Porschefahrer. Insbesondere die sechs halbstarken testosteronverstopften motorisierten Dumpfbacken aus Ludwigsburg erfüllten den Tatbestand einer Nötigung. Aus Perspektive der Radfahrerin. Für einen kurzem Moment wollte ich ihre Motorhaube hochreißen und Buttersäure in den Lüftungsschlitz kippen, um mich anschließend an ihrem olfaktorischen Leiden zu weiden. Doch ich kann meine Emotionen ganz gut regulieren und handle grundsätzlich vernunftgesteuert. Bin ja keine AFD-Wählerin.

Ab Kehre 14 entschied ich mich dazu, dass es durchaus ein Mehrwert habe, in jeder Kehre kurz zu pausieren und einen Schluck Wasser zu trinken. Sicherlich, gesellschaftlich betrachtet wurde Deutschland dadurch nicht weniger gespalten, die Kindergrundsicherung nicht gerettet und die AFD nicht dorthin verbannt, wo sie hingehört – in die Fußnote der Geschichte. Doch auf der persönlichen Ebene wirkten die vielen kurzen Pausen wie ein Gabelstapler für Motivation und Moral – sie wurden angehoben.

Am meisten motivierte mich die Aussicht – nicht auf die Berge, sondern auf die Tatsache, dass meine große Tochter zusammen mit meinem Bruder und Schwager auf der Passhöhe mit einem Kinderriegel auf mich warteten.

Stilfser Joch Gipfel

Oben angekommen überwältigte mich das Gefühl das Unmögliche geschafft zu haben. Und die Menschenmassen. Im Nachinein empfand ich die Fahrt als sehr meditative und bedauerte, dass sie so schnell vorbei war.

Die Abfahrt genoss ich in vollen Zügen. Eine halbe Stunde pures Glück. Unfassbar wie viele Radler:innen mir entgegen kamen. Einmal mehr war ich froh, derartig zeitig gestartet zu sein.

In Sponding hatte ich meinen Vinschgau-Bahn um 5 Minuten verpasst. Sie kam allerdings 6 Minuten zu spät, von daher war ich ratz fatz in Mals. Von dort radelte ich nochmal knapp 400 Höhenmeter zu unserem Bauernhof hoch, wo der Mann die Kinder hütete.

In der Nacht nach der Auffahrt auf den Pass träumte ich von Kehren. Vielen Kehren.

Zuhause habe ich Bilanz meines Trainings gezogen. In Zahlen gesehen muss ich mich nicht verstecken:

Aktivitäten insgesamt: 100

Distanz insgesamt: 799,3 km

Höhenmeter: 26.135 hm

Die Monate April bis Juli waren meine stärksten Trainingsmonate. Getreu meinem Motto “Ride against cancer – Radeln gegen Krebs spendete ich nach 800 gefahrenen Kilometern 80 Euro an die Thüringer Kebsgesellschaft. Und während ich wartete, dass sich die Bankseite aufbaute, googelte ich nach “Pass” “Radtag 2024” “Alpen”….

Mama wandert mit Baby

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