Stilfser Joch Quartalsbericht Nr. 3 & Nr. 4 – Mamahonk auf Radwegen
Mein Name ist Manja aká Mamahonk und ich fahre diesen Sommer mit dem Trekkingbike auf den höchsten Pass Europas. Das Stilfser Joch.
Ich bin eine Mama, die näher an dem Konzept „übergewichtig“ als an dem Konzept „vollschlank“ ist.
Ich habe ein Kind im Schulalter und ein Kleinkind. Letzteres stille ich noch.
Zusammen mit dem Mann lebe ich in Jena – eine Stadt in Thüringen, deren höchste Erhebung bescheidene 200 Höhenmeter zum Training bietet.
Ich bin Vollzeit berufstätig.
Meine Radausrüstung stammt größtenteils aus dem letzten Jahrzehnt – teilweise aus dem letzten Jahrhundert.
Würdet ihr mir zustimmen, wenn ich behauptete, dass ich sämtliche Voraussetzungen erfülle, das Stilfser Joch mit dem Rad zu bezwingen? Nicht!
Mein Berichtswesen ist genauso miesarbel wie meine Rahmenbedingungen. Grundidee war: Eine quartalsweise Berichterstattung über die Fortschritte meines Trainings zu geben. Fakt ist: Ende Juli plante ich das Stilfser Joch zu erklimmen. Anfang August bin ich mit zwei Quartalsberichten im Rückstand.
Ist meine Mission etwa zum Scheitern verurteilt?
Read it, like it or leave it!
Doch Mamahonk gar nicht dumm, schreibt den Quartalsbericht in einen Halbjahresbericht um:
Training Stilfser Joch März – Be ill, sleep, repeat.
Der März war der Monat meines beruflichen Wiedereinstiegs, der abklingenden Erkältungen und einer durchwachsenen Wetterlage. Um wenigstens etwas berichten zu können, begann ich meinen Arbeitsweg als Trainingsfahrt zu werten.
Zusätzlich startete ich eine Spendenaktion. Dem Mann fiel es schwer, die Argumentationskette von „ich muss abnehmen“ hin zu „ich will viele Kilometer Rad fahren, um gegen den Krebs zu kämpfen“ nachzuvollziehen. Doch um ehrlich zu sein, mir fällt es auch schwer, den Zusammenhang zwischen im Sommer täglich zwei Stunden zu gießen und der unbändigen Freude über grüne Pflanzen zu erkennen.
Aktivitäten: 10
Distanz: 68,1
Höhenmeter aufwärts: 1.457m

Training Stilfser Joch April – Das Zabel’sche Motivationstief
Das krankheits- und berufsbedingte Trainingstief in den Monaten Februar und März wurde von einem arbeitsbedingten Motivationstief im April abgelöst. Möglicherweise, aber nur möglichweise bestand ein Zusammenhang. Bei Helligkeit betrachtet, enthielten die vierteljährig andauernden Atemwegsinfektionen von meinen Töchtern und mir durchaus das Potenzial, meine Kondition zu ruinieren.
Die Entscheidung, den Arbeitsweg als Training zu werten, entpuppte sich nicht gerade als Motivationskur für mein Mindset. Denn – in Deutschland gibt es ca. 64 Millionen Menschen, die Rad fahren. Eine Zahl, die Hoffnung macht, aber auch enormes Konfliktpotenzial barg. Zumindest für mich.
Wieso? Insbesondere männliche Radbesitzer erwerben zeitgleich mit dem Rad den Titel „Survivor of the fittest“. Zumindest erwecken ihre halsbrecherischen Überholmanöver diesen Eindruck. Dieser Umstand führt in der Praxis zu ausgeprägten Spannungen mit Radbesitzerinnen, die sich den Titel „Mamahonk of the fittest“ verliehen haben.
Also mit mir. Denn ein Mamahonk neigt im Straßenverkehr nicht nur zu Größenwahn, sondern auch zur Depression. Wenn ich mit soliden 6km/h die Hauptradtrasse auf den Friedensberg hinaufsteuerte, prallte jede einzelne pedaletretende Persönlichkeit frontal auf mein Ego.
Allmorgendlich überholte mich ein älterer Herr mit einem Aussehen eines Didi Hallervordens und im Tempo eines Erik Zabels. Das war fatal für meine Motivation. Akku! Ganz klar, dachte ich. Kräftige Waden sah ich. Verzweifelt schielte ich zum Gepäckträger. Ich hoffte, eine Batterie zu entdecken. Doch Fehlanzeige. Auch der Blick zu den Pedalen half nicht weiter. Der fährt mit Wadenkraft! Unmöglich!, durchfuhr es mich.
Das war zuviel für mich. Angesichts der fehlenden Akkus befürchtete ich, den Zenit meiner Leistungskraft endgültig überschritten zu haben. Als Studentin radelte ich täglich 20km. Kaum ahnte ich, dass sich mir jemand von hinten näherte, zog ich wie Speedy Gonzales davon. Alte Herren wie der Hallervorden aka Zabel schüttelte ich ohne Probleme ab. Alle versuchten an mir vorbeizuziehen. Keinem gelang es.
Jetzt das! Es war zutiefst entwürdigend. Jeden verdammten Werktag im April führte der Zabel’sche Hallervorden meinem gealterten Ego vor Augen, wie schlapp ich war. Ist es ein Wunder, dass mein Mindset inzwischen zur Fraktion der Pessimisten überwechselte? Den Überholvorgang des Rentners interpretierte es als eindeutigen Beweis für die eigene hundsmiserable Verfassung!
Zum Trost gönnte es sich erstmal einen K-Riegel. Von der Glukose restlos enthemmt beschloss ich richtig durchzustarten. Das gelang mir im Mai!
Aktivitäten: 18
Distanz: 136 km
Höhenmeter aufwärts: 3.172m

Training Stilfser Joch Mai – Ich starte durch
In Jena für eine Passquerung zu trainieren und das als Mama von zwei Kindern bedeutete in erster Linie, in wenig Zeit viel zu trainieren. Dementsprechen hatte ich keine Wahl zwischen Großer Beerberg oder Fichtelberg. Nein. Seit 7 Monaten trainierte ich an einem und demselben Berg.
Jenzig hoch. Jenzig runter. Jenzig hoch. Runter. Hoch. Runter. Gähn.
Nichts gegen den Jenzig. Doch wenn man 6 mal diesen Muschelkalkberg hinauf und hinab gefahren ist, empfand ich das nicht mehr als landschaftlich reizvoll, sondern fühlte mich nur noch von der Landschaft gereizt.
Die Konsequenz: Ich entschied mich dazu, meinen Bewegungsradius deutlich auszuweiten. Allerdings verbrachte ich schlussendlich mehr Zeit im Flachland als am Berg. Das ist bei einem Zeitkontingent von 3-4 Trainingsstunden pro Woche von stark eingeschränktem Vorteil. Mit 500 Höhenmetern im Training bezwingt frau keinen Pass von 2700 Höhenmetern.
Also reset.
Doch vorher legte ich eine Radpause ein. Mal wieder. Diesmal waren weder die Kinder, Krankheiten noch der berufliche Wiedereinstieg oder gar langweilige Radrouten dafür verantwortlich, sondern meine Teilnahme am Rennsteiglauf. Die bereitete mir zwar viel Freude, bescherte mir leider auch einen Muskelfaserriss. Mindestens. Wenn nicht gar ein gebrochenes Bein. Na gut, es war mehr eine Zerrung. Tat trotzdem weh. Der Unterschied zu einem Riss war marginal und bestand darin, dass nach knapp 2 Wochen alles wieder gut war.
Also raffte ich mich erneut voller Freude auf und trainierte angespornt von dem nahenden Urlaub, ernährte mich gesund und freute mich, dass ich im Laufe des einjährigen Trainings nicht einen einzigen Platten hatte. Das hätte ich nicht tun sollen. Am nächsten Abend legte der Mann den Reifen, einen Schlauch und Hebel auf den Gartentisch. Ich hatte mir eine Heftfeder eingefahren. Hmpf.
Aktivitäten: 16
Distanz: 170,9
Höhenmeter aufwärts: 5.153

Training Stilfser Joch Juni – Ich gebe Gas
Der Monat Juni wirkte auf mich als hätte er von Geschwindigkeit geträumt. Ein Ereignis folgte dem nächsten. Ich selbst entfernte mich weiter von der 40 als mir lieb war. Vorrangig galt es daher zwischen Geburtstagsfeiern und Jubliäen ein Zeitfenster zum Trainieren auszumachen.
Erneute bewährte sich die Vorgehensweise, Ziele hoch zu stecken. Der Urlaub in die Alpen war gebucht, mein Bruder samt Anhang genötigt als Begleitfahrzeug mitzureisen und eine Generalüberholung des Rads beauftragt. Ich hatte so viele Vorkehrungen getroffen und Personen involviert, dass ein Rückzieher unmöglich war.
Der dadurch aufgebaute Druck reichte aus, um den Mann eine wöchentliche kinderfreie Zeit für das Training abzuringen. Der Sonntagmorgen war meine heilige Zeit, sie stand unverrückbar. Ohne Diskussion übernahm der Mann die Kinder. Selbst wenn eine Feier/Reise in die Heilige Zeit fiel, trug ich dafür Sorge, dass ich durch den Abbau von Plusstunden oder an Feiertagen die Fehlfahrt ausglich.
Niemals hätte ich regelmäßig einmal wöchentliches Training etablieren können, hätte ich nicht dieses Ziel: Stilfser Joch. Trotz andauernder Hitze fuhr ich. Jetzt wieder am Jenzig, da kam ich hin und wider auf 1.200 Höhenmeter. Und natürlich tüchtig ins Schwitzen.
Aktivitäten: 19
Distanz: 137,5
Höhenmeter aufwärts: 4.287

Training Stilfser Joch Juli – Keine Gnade für die Wade
Im Monat Juli wollte ich mit einem bösartigen Gerücht über mich aufräumen. Mein Umfeld unterstellte mir zunehmend eine Pedelecfeindlichkeit. Das löste größte Verwirrung bei mir aus. Ich? Ich habe doch nichts gegen E-Bikes.
Gut, es mochte sein, dass ich mich hin und wieder über E-Bike-fahrer*innen lustig machte.
Gut, es mochte sein, dass ich Pedelecfahrer*innen für Weicheier*innen hielt.
Gut, es mochte auch sein, dass ich maßlos genervt war, wenn sie mich am Berg gnadenlos abhängten.
Die Wahrheit ist jedoch, die Existenz von E-Bikes ist eine Wohltat für mein Ego.
Denn seien wir ehrlich, seit es E-Bikes gibt, gehöre ich zur sportlichen Elite des Landes. Folgende Standardsituation veranschaulicht das sehr eindrücklich:
Bergtraining vor Erfindung des E-Bikes anno Juli 1993
Die Sonne brennt. Pitschenass und schweißüberströmt kämpfe ich mich den Berg hinauf. Mir kommt ein Fußgänger entgegen. Kritisch mustert er mich. Und läuft kommentarlos weiter.
Bergtraining nach Erfindung des E-Bikes anno Juli 2023
Die Sonne brennt. Pitschenass und schweißüberströmt kämpfe ich mich den Berg hinauf. Mir kommt ein Fußgänger entgegen. Kritisch mustert er mich. Sein Blick wandert mein Rad entlang. Plötzlich restlose Begeisterung: “Sie fahren ja noch mit Beinen! Krass! Ey, voll Respekt!”
Das musste für mein sportliches Ego im Juli leider reichen. Denn abgesehen von dem Wetter verhielt sich der Juli zum Monat Dezember wie Hanni zu Nanni. Wir waren dauerkrank. Entsprechend trainierte ich genau einmal ernsthaft.
Aktivitäten: 12
Distanz: 35,5 km
Höhenmeter aufwärts: 5.199 hm

11 Monate Training liegen nun hinter mir. Effektiv trainiert habe ich vielleicht 7 Monate. Ich fühle mich fit, kann trotzdem schwer abschätzen, ob meine Verfassung dazu reicht, das Stilfser Joch zu bezwingen? Im Juli führte ich mir zahlreiche YouTube Beiträge und Blogartikel zu Gemüte. Danach geriet ich immer in Panik, weil ich mir über Radübersetzung, Klickpedalen und angemessene Kleidung recht wenig bis Was ist das? Gedanken gemacht hatte.
Werde ich das Stilfser Joch bezwingen?
Werde ich von einer Kälte- oder Hitzewelle überrollt?
Wird mein Wasser reichen?
Werde ich einen kilometerlangen Stau verursachen?
Oder wird der Urlaub ganz und gar ins Wasser fallen, weil wir vergessen haben, die Batterie unseres Autoschlüssels zu wechseln?
Gewinnt David immer gegen Goliath? Das ist die Frage…Antwort kommt bald.
Lest hier wie alles begann:
Stilfser Joch – Mamahonk auf Radwegen
Stilfser Joch Quartalsbericht Nr. 1 – Mamahonk auf Radwegen
Stilfser Joch Quartalsbericht Nr. 2 – Mamahonk auf Radwegen

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