Entlang der Saale-Horizontale Teil I – Wandern mit Kleinkind
Saale-Horizontale (72 km) und ein laufender Meter
Saale-Horzontale mit Kind Etappe 1: Haltestelle Platanenstraße – Lobdeburg – Sommerlinde – Fürstenbrunnen – Diebeskrippe – Steinkreuz (15,7 km)
Am Sonntag war es soweit! Meine Tochter und ich wollten die erste gemeinsame Wanderung unternehmen. Geplant waren drei Tage und knapp 40 km Fußweg. Der Mittagsschlaf wurde gestrichen und dafür Quetschis, Knoppers und Eis in Aussicht gestellt. Das war für meine Tochter ein guter Deal.
Wir freuten uns beide sehr darauf. Vor allem, weil wir die ganze Zeit zusammen sein konnten. Wie groß war die Enttäuschung, als der Wetterbericht einen Strich durch unsere Rechnung machte. Wir fügten uns dem patschnassen Schicksal, kürzten die Tour etwas, ruhten uns am Sonntag aus und sammelten Energie für die verbliebenen zwei Wandertage.

Am Montag starteten wir an der Haltestelle Platanenstraße und balancierten zum Einstieg der Saale-Horizontale. Ich impfte Knöpfchen, auf das orange-blau-weiße Schild zu achten und designierte sie offiziell zur Navigatorin. Stolz ob der verantwortungsvollen Rolle stapfte sie voran. Mit Beginn lunzte die Sonne hinter den Wolken hervor. Das veranlasste meine Tochter, sich sämtlicher Kleidungsstücke zu entledigen. „Mir ist so schrecklich warm.“, stöhnte sie.
Als die Sonne kurz darauf wieder hinter den Wolken verschwand und ein kühler Wind aufkam, zwang ich sie, sämtliche Tücher, Jacken und Pullis anzuziehen. Die Gedankenkette „Wind = Schnupfen = Kind darf nicht in die Kita, könnte ja Corona sein = ich muss wieder ins Home Office“ trieb mich an. Doch die Sonne erlaubte sich einen Spaß mit uns. Schien, war bedeckt, schien wieder, war wieder bedeckt. Schlussendlich gab ich mich geschlagen und ließ mein Kind halbnackt durch den Wald laufen.
Die Saale-Horizontale hieß uns mit einem steilen Stich zur Lobdeburg hinauf willkommen. Da floss der Schweiß sowieso großzügig und uns wurde warm. Die Burgruine ist Teil der europäischen Kulturstraße Transromanica und ließ viel Spiel für Fantasie. Zur Ablenkung ersannen meine Tochter und ich die Prinzessin Sara von Lobdeburg. Sie sollte uns die gesamte Strecke begleiten und wahlweise Schweine züchten, das reiten lernen oder den bösen Volde bekämpfen.

Von der Lobdeburg wanden wir uns die Johannisberghorizontale entlang. Hier gab es im vergangenen Jahr einen Waldbrand. Zwischen den verkohlten Kiefern roch es immer noch sehr stark nach Rauch. Logisch, dass hier der Drache Pustefix sich verschluckt und aus Versehen die Bäume entzündet hat.

Auf dem Weg zur Sommerlinde wurde ich mehrfach mit einer Herausforderung konfrontiert, die ich vorab nicht kalkuliert hatte: Pinkelpausen. „Mama, ich muss mal!“ und schon brach ich in Schweiß aus. Denn Wildpinkeln mit Kind ist so eine Sache. Eigentlich verboten hat man im Wald keine Wahl als wild zu urinieren.
Das „Kleine“ mag da ja noch gehen, doch was, wenn das „Große“ im Anmarsch ist? Mit Blättern überdecken? Eingraben? Einpacken und mitnehmen? Naja, der nächste Losungsforscher hatte in jedem Fall seine Freude. Genau wie meine Oberschenkel, die nicht wenig schmerzten, wenn es mal wieder länger dauerte…

Bei der Sommerlinde angekommen, klagte Knöpfchen über plötzliche Schwäche und verlangte nach einer längeren Pause. Doch als ich dem Wegweiser die Kilometerzahl der bevorstehenden Route entnahm, ignorierte ich die verlockende Bank, warf der idyllischen Schmetterlingswiese einen letzten Blick zu und Knöpfchen kurzentschlossen über meine Schultern, freundete mich mit Holzwurstl (einem Gehstock) an und marschierte fröhlich singend zum Fürstenbrunnen, wo sich die Quelle des Pennickenbach befand.
Nicht mehr ganz so fröhlich klingend kamen wir an. Die 17 Kilogramm auf meinen Schultern hatten meine Energiereserven ziemlich aufgebraucht. Daher entschieden wir uns für eine Stärkung. Der Fürstenbrunnen bot dafür mit seinen sonnig-schattigen Sitzgruppen die ideale Möglichkeit. Für Knöpfchen und mich waren die Essenspausen die Höhepunkte. Besonders begeistert war Knöpfchen von meinem kleinen Gaskocher, mit dessen Hilfe wir in Nullkommanix eine mediterrane Reisspeise zauberten.

Gestärkt ging es von hier auf die Kernberghorizontale, die mit schmalen Pfaden und steilen Abhängen nicht nur für Nervenkitzel sorgte, sondern auch tolle Aussichten auf Ammerbach, Winzerla und das Pennickental bot. Knöpfchen begeisterte sich eher für die zahlreichen Pfützen, durch die sie in wilden Haken spurtete. Meine Nerven dankten es ihr mit mehreren Beinahherzinfarkten.
Sie konnten sich erst entspannen als wir an der Diebeskrippe und der Studentenrutsche vorbei in einen tiefen Buchenwald mit breiten Pfaden gelangten. Allerdings beanspruchte Knöpfchen nun meine Nackenmuskeln. Die letzten Kilometer deklarierte Madame mich zu einem Pferd, das im flotten Galopp zum Steinkreuz getrieben wurde. Glücklicherweise wartete dort mein Mann, um uns erschöpft aber zufrieden in den Garten zur verdienten Ruhepause zu chauffieren.

Saale-Horzontale mit Kind Etappe 2: Ziegenhain – Fuchsturm – Jenaprießnitz – Jenzig (13,4 km mit Abstieg)
Die Übernachtung im Garten erzeugte wenigsten einen minimalen Eindruck, fern des Alltags zu sein. Uns weckten Vogelgezwitscher und Sonnenschein. Erholt und mit nur kleinen Blasen an den Füßen starteten wir in die zweite Etappe. Diese begann unterhalb des Steinkreuzes und führte durch Streuobstwiesen das Ziegenhainer Tal hinab.
Voller Energie wollte ich den Hang zum Fuchsturm erklimmen. Meine Tochter hatte anderes im Sinn. Neben dem Friedhof befand sich eine Art Gnadenwiese für ausgemergelte Pferde. Knöpfchen stünde heute noch dort, hätte ich sie nicht mit einem fiktiven Feuerwehrmann-Sam-Einsatz den Berg hinaufgetrieben.
Am Ende des Hangs wartete ein weiteres tierisches Hindernis: Eine Schafherde. Entlang der Schafweide führte der schmale Pfad zum Fuchsturm. Doch wo eine Schafherde ist, sind auch die Hirtenhunde nicht weit. Hier handelte es sich um zwei besonders prächtige Exemplare des ungarischen Hirtenhunds. Sehr gute Wächter. Sie kläfften uns an als klemmten bereits zwei Schafe unter unseren Armen.
Knöpfchen zeigte gesunden Respekt vor den beiden Riesen. Sie erstarrte zur Salzsäure. Der Elektrozaun schien auch zu schrumpfen und ein leicht überwindbares Hindernis für die beiden Kameraden zu sein. Ohne lange nachzudenken entschied ich mich für einen Umweg. Der Alternativpfad in der angrenzenden Wiese sprach Bände.
Bevor wir unser erstes Etappenziel – den Fuchsturm – erreichten, durchquerten wir eine alte Weihestätte der Thüringer Berg-, Burg- und Waldgemeinden. Insgesamt standen hier 32 Steine aus den Thüringer Regionen und bildeten einen offenen Kreis. Ein Hauch von Stonehenge. Der Fuchsturm selbst war zum Leidwesen von Knöpfchen geschlossen.
Der Frust war dank der sprechenden Infobox, die durch eine kleine Kurbel mit Strom versorgt wurde, vergessen. Knöpfchen entdeckte ihre Kurbelleidenschaft und ich weiß nun alles Wissenswerte über die Fuchsturmgesellschaft und die hiesige Landschaft.

Nachdem wir nahezu alle Lebensmittelvorräte (außer den mediterranen Reis und die geheimen Reserven an Traubenzucker 😉 ) verspeist hatten, ging es hinab durch einen schattigen Buchenwald, über Streuobstwiesen und Pferdekuppeln. Diese Ecke war mir gänzlich unbekannt und ich genoss es sehr, ein neues Puzzleteil meiner mentalen Landkarte hinzuzufügen.
Allerdings zerrte die Sonne, der wir ungeschützt vom schattigen Wald ausgesetzt waren, sehr an unseren Energiereserven. So pausierten wir uns durch das Gemdental. Gefühlt stoppten wir alle hundert Meter, um zu trinken, durchzuatmen und uns mit Sonnenmilch einzureiben. Dankbar ruhten wir auf jeder Bank, von denen es glücklicherweise reichlich gab. Knöpfchen inhalierte Traubenzucker und schon ging es zur nächsten Blumenwiese.

Nun begann ein landschaftlich wenig spektakulärer, dafür sportlich reizvollerer Abschnitt. Hier offenbarten sich die Unterschiede zwischen meiner Tochter und mir. Während sie der Kategorie Pilgerin zugeordnet werden konnte, die sich und die Natur entdecken, Schmetterlingen hinterherjagen und singen wollte, konnte man mich eher zur Gruppe Iron Man für Arme zählen, die schaffen, schwitzen und leiden wollte. Ich löste den Konflikt, in dem ich ihre bescheidenen 17 Kilogramm auf die Schultern bugsierte und bergan stieg.
Ich hielt genau bis zur ersten Bank durch. Bis dahin hatte ich die angrenzenden Weizenfelder mit zwei Liter Schweiß getränkt und mein Kind mir einen Angela-Merkel-Bob geformt. Kurzerhand erklärte ich ihr, dass sie nun auf eigenen Beinen zu stehen habe und stapfte weiter. Siehe da. Ohne zu murren stiefelte mein Knöpfchen hinter mir her. Sie sang lauthals „Ich bin jetzt frei“ und erschuf entlang des Jenzigrückens eine Eisschlösserwelt. Ok, ich gebe es zu, ich habe ihrer Motivation vielleicht ein bisschen auf die Beine geholfen und ihr ein riesiges Eis im Jenzighaus versprochen. Aber nur ein klitzekleinesbisschen.

Pech, dass das Jenzighaus ausgerechnet jetzt coronabedingt nur am Wochenende geöffnet hatte. Die Enttäuschung konnte zwar durch ein gaskochererwärmtes mediterranes Reisgericht am Hotspot für Gleitschirmflieger etwas abgemildert werden. Doch ohne Aussicht auf ein kühles Eis taten plötzlich die Füße weh, ach was sage ich, sie brannten. Eigentlich waren sie schon amputiert.
Der Saurier-Erlebnispfad “Trixi Trias” vertrieb den Schmerz. Dem Jenzig hinab folgten wir den Spuren der Urzeitriesen. Meine Tochter stürzte sich voller Begeisterung auf die Rätsel, Figuren und Informationen. Die verbliebenen zwei Kilometer flogen nur so dahin. Erst am Fuße des Jenzig angelangt als uns noch wenige Meter von unserem Garten trennten, fiel meiner Tochter ein, wie sehr sie doch eigentlich litt. Das vergaß sie nicht bis zur Gartenlaube, wo sie endlich das wohl verdiente Eis erhielt.

Mein Zwischenfazit nach zwei Etappen: Insgesamt bietet die Saalehorizontale viel Abwechslung für Eltern und Kind sowie Spielraum für fanatsievolle Erzählungen. Doch aufgrund der langen Zu- und Ausstiege, die meist mit steilen Auf- und Abstiegen verbunden sind, empfehle ich, sich bei Begehungen der Saalehorizontale mit Kleinkind an die auf der Homepage empfohlenen Kurztouren zu halten.
Grundsätzlich fange ich an, Wanderungen neu zu denken. Bisher war Wandern für mich mit den Begriffen Natur und Sport assoziiert. Ich habe den Half Dome an einem Tag bezwungen, bin innerhalb von 13 Stunden einmal den Grand Canyon hinunter- und wieder hinaufgeklettert und habe die Zugspitze über das Höllental bestiegen. Nicht einmal war ich so fix und fertig, wie nach den Wandertagen mit meiner Tochter. Alle vorherigen Wanderungen waren entspannte Spaziergänge.
Ich sah mich genötigt zu singen, Feuerwehrmann Sam zu sein, die Prinzessin Sara zu retten, Pflanzen und Vögel mit extraordinären Namen neu zu bestimmen, die kulinarische Versorgung sicherzustellen und möglichst attraktiv ans Kind zu bringen, Pack- und Reitesel zu spielen, Bäume zu erklimmen, das Kind vor dem Abstürzen zu bewahren, den Weg zu finden, von der Kräuterrennschnecke Lara zu erzählen, den grünen Wicht zu entdecken…

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