Mamahonk im Urlaub auf Rhodos

Wackelzahnpubertät, Entthronung und Trennungsangst meiner Erstgeborenen hatten meine Gefühle verknotet. Ich geriet in eine Stillkrise. Fünkchen, Tochter Nr. 2, beschloss, dass die linke Brust doof ist und ignorierte sie. Folge: Rechtsseitiger XXL-Busen. War es ein Wunder, dass ich das innere Gleichgewicht verlor? Wohl nicht. Mir war klar, dass meine hormonelle Instabilität ganz viel mit unserer Situation zu tun hatte. Ich meine, selbst der Tod einer Motte stürzte mich in eine mittelschwere Depression. Und wir hatten eine Menge Lebensmittelmotten in unserer Küche. Meine weinendenden Kinder gaben meiner Amygdala schließlich den Rest. Damit fehlte ihnen der Halt. Den Knöpfchen umso lauter einforderte.

Da half nur eines: Familienurlaub.

Rettung nahte. Papahonks Elternzeit stand vor der Tür. Zu Beginn der Schwangerschaft träumten wir von einem Roadtrip zu viert durch Australien. Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett erdeten uns. Wir passten unsere Vorstellungen der Belastbarkeit unserer Nerven an. Aus Australien (Schwanger) wurde Europa (Geburt) wurde Griechenland (Wochenbett). Und hey, Pauschalreise is the new Roadtrip. Für Eltern. Letztendliche Auswahl: Griechische Insel oder griechische Insel. Mit hauchdünnem Vorsprung gewann: Die griechische Insel. Rhodos aufgepasst! Wir kommen.

Diesmal haben wir an die Kinderausweise gedacht 🙂

Wir entschieden uns für den TUI Kids Club Alex Beach in Theologos Rhodos (*unbezahlte Werbung*). Hätte mir vor 10 Jahren jemand gesagt, dass ich unendlich tiefes Glück empfinde, freiwillig eine Woche in einer Hotelanlage zusammen mit 150 käsigen, wohl genährten und plärrenden Familien zu verbringen, ich hätte ihm die Nummer für den Sozialpsychiatrischen Dienst empfohlen. Soll helfen. In geistiger Not. Jetzt war es genau das Richtige! Für meine geistige Not.

Wenn eine Familie eine Flugreise mit einem viermonatigen Säugling unternimmt, überlegt sie sich das in der Regel gut. Wenn WIR mit einem viermonatigen Säugling verreisen, haben wir Unsicherheiten abgewogen, Ängste geklärt, Ärzte vor Ort recherchiert, die Nähe der nächsten Klinik notiert, die Lage der Hauptstraße eruiert, Facebookgruppen nach Erfahrungsberichten abgegrast, die Klimaverträglichkeit von Babyhaut wissenschaftlich untersucht, Sonnen- und Moskitoschutz für Säuglinge im Premiumpack besorgt, die Seite des Auswärtigen Amts hinsichtlich Reisehinweisen gecheckt, Bodenproben genommen und einen Antrag bei Pampers auf internationale Qualitätsäquivalenz bei der Windelproduktion eingereicht.

Ich bin nicht Mutter geworden, sondern eben ein Monk. Falls ihr’s nicht wusstet: Das ist die Abkürzung für Mamahonk.

Trotz intensivster Vorbereitung hatte ich kurz vor der Abreise das Gefühl, bei der Buchung hochgradig besoffen gewesen zu sein. Anders konnte ich es mir nicht erklären. Ich meine, drei Stunden fliegen. Mit Baby. Panisch malte ich mir die genervten Blicke der Mitreisenden, enge Sitze und auslaufende Windeln aus. Wahrscheinlich würden wir uns alle erkälten, weil die Klimaanlage in dem Flugzeug eine Eiszeit einläutete und wir bereits kleidungstechnisch auf das Zielland eingestimmt wären.

Was, wenn unser Gepäck nicht ankommt? Als Paar hatte ich einfach immer zwei Wechselschlüppis im Handgepäck. Doch Wechselkleidung für vier Personen passte nicht in meine Handtasche. Ganz zu schweigen von langen Transferzeiten zu unmöglichen Tageszeiten. Und, wie sollten wir eine Woche zu viert in einem einzigen Zimmer nächtigen? Zuhause sorgte die strikte Teilung – Papahonk und Knöpfchen im Kinderzimmer und Mamahonk mit Fünkchen im Elternzimmer – für ein maximal mögliches Schlafpensum unserer Familie. Das reichte, damit wir uns nicht an die Gurgel gingen. Schlafmangel is a bitch. Ich fantasierte von durchwachten Nächten, einsamen Mahlzeiten und schrillem Gezicke, wer denn endlich mal im Pool baden dürfe. Heimlich schloss ich eine Rechtsschutzversicherung für Familienrecht ab. Nur zur Sicherheit.

Unser Flug ging morgens um 10 Uhr vom Flughafen Erfurt. Wir reisten mit den Öffentlichen dorthin. Des Mannes innerer Monk zwang uns zum frühzeitigen Start, um ja nicht in den Berufsverkehr zu kommen. In den kamen wir nicht. Stattdessen erwischten wir den Schülerverkehr. Es war uns eine große Freude, die Straßenbahn mit gefühlt 999 pubertierenden, gackernden und schwitzenden Jugendlichen zu teilen. Leicht lädiert spuckte uns die Bahn am Erfurter Flughafen aus. Der ließ sich mit einem Wort beschreiben – niiiiiiiiiiiiiiedlich. Urlaub begann hier bereits am Check in. EINE Halle für Departure UND Arrival. Insgesamt drei Gates. Sechs Flüge am Tag. Kein Wunder, dass das Personal uns gut gelaunt und tiefenentspannt abfertigte.

Um den Kältetod zu entrinnen, hatte ich uns alle extra dick eingepackt; klopfte mir innerlich auf die Schulter, dass ich diesmal nicht die Klimaanlage im Flugzeug vergessen hatte. Die Konsequenz: Wir erlitten kurz nach dem Start einen Schweißanfall des Todes. Ansonsten lief es wie geschmiert. Fünkchen schlief kurz vor dem Start ein und wachte erst bei der Landung auf. Ich hatte sie während des gesamten Flugs in der Trage. Beim kleinsten Mucks quetschte ich ihr die Brust in den Mund. Die Rechte natürlich. Und Ruhe war.

Am Gepäckband angekommen, begrüßten uns bereits die Koffer von Knöpfchen und Papahonk. Nur meine Kraxe mit den Sachen für Fünkchen fehlte. Das Gepäckband leerte sich. Die Kraxe kam nicht. „Hrmpf! Wusst ich‘s doch, dass das ein Scheißurlaub wird!“, knurrte ich, als das Gepäckband anhielt. Auf Nachfrage teilte man uns mit, dass Sperrgepäck am anderen Ausgang des Flughafens abgelegt wurde. Öhm. Ok. Auch gut.

Jetzt nur noch den Transfer überstehen. Bitte, bitte lass den Bus noch nicht abgefahren sein.  Vor dem Flughafen kein Bus weit und breit. Stattdessen eine Limousine. Nein, keine Stretch, sondern das Gegenstück zum Kombi. Mit flachem Kofferraum. Gut, dass wir nur drei Rucksäcke, zwei Koffer, eine Kraxe und einen Kinderwagen dabeihatten. *Ironie off* Wie das so ist in allen Ländern – außer Deutschland, passten wir vier und unser Gepäck tatsächlich ins Auto. Da das Hotel nur wenige Kilometer entfernt vom Flughafen lag, machte es auch nichts, dass der Kindersitz fehlte und Fünkchen bei mir in der Trage mitfuhr.

So waren wir ratzfatz an unserem Ziel. Klassisches Familienhotel. Konzept Zweikindfamilie. Es gibt zwei Gründe hier zu sein: Essen und Kinderentertainment in Gestalt von Kids Club, Kinderdisco und Aquapark. Recht schnell etablierten wir eine feste Tagesstruktur. Unser Leben spielte sich zwischen Essen und ja eben Essen ab. Essen, Baden, Essen, Schlafen, Baden, Essen, Spielplatz. Alle meine Ängste blieben zurück. Jeder von uns Erwachsenen verfügte über eine Stunde am Tag für sich und seine Bedürfnisse. Der Rest wurde den Kindern gewidmet. Dafür teilten wir uns – außer beim Essen – auf.

Meine Stunde Freiheit widmete ich dem Aquafitness. Darauf hatte ich mich echt gefreut. Wenig Schwerkraft. Unschlagbarer Vorteil von Wassersport. Voller Elan stand ich am ersten Tag pünktlich am Schwimmbeckenrand. Der war leer. Der Pool auch. Gähnend leer. Verunsichert marschierte ich zum DJ und fragte, wo denn Aquafitness stattfände? Überrascht sah er mich an.

Dann erhielt ich ein Lehrstück in Kommunikation. Wahrscheinlich zur Vorbereitung auf die Pubertät meiner Kinder:

„Hier!“, antwortete er.

„Aha und wo ist der Trainer?“, fragte ich.

„Der bin ich.“, antwortete er.

„Ach so.“ Ich freute mich. Dachte, jetzt geht‘s los. Ist doch logisch, oder? Trainer + Teilnehmerin + Pool = Aquafitness. Bei dem Preis, den wir berappt hatten, erwartete ich natürlich, dass das Training unabhängig von der Anzahl der Personen stattfand.

„…“ Ratlos sah mich der Trainer an. Er hatte anscheinend eine andere Ansicht.

„Na, wollen wir dann?“, motivierte ich den Lucky Luke mit Sonnenbrand und -brille.

„Es ist doch keiner da.“, entgegnete er.

„Doch ich.“ Zählte ich etwa nicht? Meine 80 kg Lebendgewicht sind doch nicht zu übersehen! Der Bursche vergaß wohl, dass ich diejenige war, die eine Rezension schrieb?

„…“ Vergaß er.

„Ich würde gerne trotzdem Sport machen.“, insistierte ich.

„Alleine?“, fragte er erstaunt.

„Ja.“ Blitzbirne!

„Ok. Es gibt einen Nachmittagskurs.“ Was ich mit der Information anfangen sollte, war mir nicht klar.

„Hm. Sind da mehr Teilnehmer?“, fragte ich.

„Weiß nicht.“, meinte er.

„Macht das ein anderer?“ Bitte lass es einen anderen Trainer sein.

„Nein.“, antwortete er.

„Also du?“

„Ja, ich“

„Wieviel waren denn gestern da?“

„Keine. Wir haben erst letzte Woche angefangen.“

„Ah, na dann lass uns doch jetzt beginnen. Vielleicht kommen ein paar.“

„Ok“, sprachs und ging sich seinen rasierten, sonnengebräunten und muskelgestählten Körper einölen. Das war seine Trainingsvorbereitung.

Meine bestand darin, mutterseelenallein im Pool zu warten und verzweifelt jede vorbeischwimmende Mama anzulächeln, in der Hoffnung, sie schlösse sich mir an. Tatsächlich. Fünf Minuten hampelte ich allein rum. Dann kamen nach und nach ein paar Luxuskörper angekleckert, die sich, genau wie ich, ihr Mittagessen verdienen wollten. Schließlich waren wir zu fünft.

Der Trainer saß im Stuhl und feuerte uns an. Das Training war speziell. Mein Ziel: Einmal wie Arielle fühlen. Leider glich mein Gezappel eher der Meereshexe Ursula. Ich war nur froh, dass die anderen Gesichter genauso ratlos aussahen wie ich. Mir gelang es nicht, mehr als zwei Bewegungen zu kombinieren. Lag bestimmt an der Geburt. Redete ich mir die Situation schön. War ja noch nicht lange her. (Mal schauen, welche Ausrede ich habe, wenn ich nicht mehr stille. Wahrscheinlich das Wetter.)

Der Mann nutzte mein tägliches Aquabattle mit Lucky Luke, um mit den Kindern die Umgebung zu erkunden, freundete sich mit rumhängenden Bauern an und hing selbst seinen Gartenphantasien nach. Bei seiner Rückkehr von den Wandertouren bewies er, dass er ein Premiumgärtner war: „Das nächste Mal nehme ich eine Heckenschere mit!“, versprach er. „Ich schneide den Bougainvillea weg, dann komme ich endlich mit dem Kinderwagen durch.“ Immer im Dienst. Der Mann.

Knöpfchen benötigte etwas Zeit, um sich zu akklimatisieren. Wir erinnern uns – Wackelzahnpubertät undsoweiter. Anfänglich wollte sie weder zu Kinderdisco noch auf die Rutsche. Die war hoch. Sehr hoch für eine Sechsjährige. Zu niedrig für mich. Mit Ach und Krach überredete ich sie, zu rutschen: „Komm, wir rutschen! Das fetzt.“

„NEIN.“ 

„Na los. Wir können auch gemeinsam.“

„Neiheiiin.“ Langsam bekam ich Angst, eine ganz Woche im Kinderplanschbecken verbringen zu müssen.

„Pass auf, nur einmal und dann nie wieder.“, versprach ich.

„Na gut. EineinzigesMalaberwirklichnureineinzigesMal.“

Da war es passiert. Die Büchse der Pandora stand offen.

Statt Kinderplanschbecken gab es nun Rutsche in Dauerschleife. Hoch, runter und wieder hoch. Mein Magen boykottierte mich und erinnerte mich an das leckere Buffet: Geh zum Buffet, es fällt keinem auf, dass du schon dreimal dort warst. Ich rannte schneller, weil ich Angst hatte, dass mein Magen gewinnt. Als meine Beine sich dem Boykott anschlossen, zwang ich Knöpfchen allein zu rutschen. Dafür benötigte ich das ganze Hotel. Von wegen es braucht ein Dorf für die Kindererziehung.

Ich wartete vor der der Rutsche, oben unterstützte ein Papa mit seinem Sohn und der Bademeister sowie ein paar Frauen feuerten mein Knöpfchen an. 15 Minuten lang. Ja, meine Tochter lässt sich gerne feiern. War schließlich fünf Jahre Einzelkind. Nun hatte ich ein stolzes Kind. Und mein Magen trollte sich zum Buffet. Ich bin übrigens für die Einführung von AI-Bändchen weltweit. Vieles wäre leichter, stets und ständig freien Zugriff auf Griechischen Salat, Pitabrot und Eis für alle zu haben.

Der Spruch „Gleich und gleich gesellt sich gern“ erhielt für mich in dem Hotel eine neue Dimension. Nie hätte ich gedacht, wieviel Zufriedenheit ich daraus ziehen konnte, bei den Mahlzeiten die rotgesichtigen Eltern zu beobachten, die verzweifelt versuchten wenigstens EINEN Teller leer zu essen, währenddessen der Nachwuchs wahlweise heulte, mit Essen um sich schmiss oder das Geschwisterchen verkloppte. Ja, ich empfand Freude an den Lärmpegel und dem hektischen Gewusel, erzeugt durch unzählige Kinderbeine. Klingt stressig? Mitnichten.

Ich erfuhr maximale Entspannung. Keine Ahnung warum, doch der infantile Wahnsinn, der sich in anderen Familien abspielte, normalisierte uns als Familie so ungemein. Solltet ihr also mal den Eindruck haben, eure Familie sei dysfunktional oder so, geht einfach eine Woche in ein Familienressort. Es egalisiert alles. Auch der Blick auf den eigenen Körper. Ich persönlich empfand es sehr beruhigend, dass ungefähr 50 Prozent der anwesenden Urlauber*innen die Elternschaft anzusehen war. Die Frauen hatten die Geburt körperlich zum Ausdruck gebracht. Die Männer hatten offensichtlich auch andere Hobbys als Sport.

Nach einer Woche endete leider unser Kurzurlaub in Rhodos. Meine Bauchspeicheldrüse dankte es mir. Wir alle hatten durchatmen können. Kraft getankt. Abgesehen von ein paar fehlerhaften Informationsübertragungen zwischen dem Mann und mir, sah ich keinen Anlass die Rechtsschutzversicherung zu bemühen. Bereits auf dem Rückflug zeigte sich allerdings, dass die Bereitschaft von Knöpfchen, in die Kita zu gehen, verständlicherweise nicht gestiegen war. Glücklicherweise hatten wir noch länger etwas von unserem Urlaub. Denn wir hatten ein bemerkenswertes Souvenir aus Griechenland mitgebracht:

Corona.

Fortsetzung folgt…

Mama wandert mit Baby

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