Weiterbildung in Sachen Familiensinn
Nicht selten bringt eine Schwangerschaft einen Umzug mit sich. So auch bei mir. Ein halbes Jahrzehnt arbeitete ich in Dresden. Als Bildungsreferentin. Ich liebe meinen Job.
Als ich schließlich endlich schwanger wurde, stand ich vor einer meiner schwersten Entscheidungen. In Dresden bleiben, wo ich einen Beruf ausübte, der nicht nur mit einem tollen Team, Chef und Gehalt bestückt war, sondern mich auch inhaltlich sehr erfüllte?
Oder nach Jena zum Kindsvater ziehen, wo ein Rest der Familienbande lebt und beide gesundheitlich leicht bis mittelschwer angeschlagenen Großeltern in der Nähe sind, allerdings berufliche Chancen den Sinkflug gen Null eingeleitet hatten?
Ich entschied zugunsten der durch Lebenspartnerschaft und Abstammung begründete Lebensgemeinschaft.
Dazu muss ich dezent darauf hinweisen, dass berufliche Unsicherheiten für mich das sind, was Trump für die Welt ist: Unerträglich.
Sie kommen einem persönlichen Armaggedon nahe. Diese Entscheidung steht dennoch in einem Kontinuum gleichgesinnter Entscheidungen. Die nächste traf ich kurz nach der Geburt meiner kleinen Krawallschachtel.
Gerne wollte ich meine beruflichen Wiedereinstiegschancen durch eine Fortbildung in die Nähe der Realität rücken. Das Spektrum der Bildungsmöglichkeiten berauschte mich. Ich spürte den Zauber des Neuanfangs. Es kribbelte. Was also sollte ich tun? Ein Fortbildung als Coach absolvieren? Als Beraterin? Podologin? Ich fällte erneut eine Entscheidung.
Und zwar, die Elternzeit zu genießen. Ein viertel Jahr später hatte ich die Möglichkeit eine Tätigkeit als Projektleiterin in Jena anzutreten. Sofort war ich Feuer und Flamme. Ich betrachtete meine Tochter und lehnte ab.
Ich bin mir sicher, ein Großteil der Leser*innen wird den Kopf ob dieser Naivität schütteln. Fast jede Mutter, der ich meinen Werdegang seit der Schwangerschaft dargelegt hatte, blickte mich fassungslos an.
Regelmäßig höre ich von Eltern, die ihren Wohnort zum höheren Gehalt verlegten. Und ich? Das schlechte Gewissen zahlreichen Frauen gegenüber, die mühevoll die Ausdehnung des weiblichen Berufsbildes auf Politik, Medizin oder Technik vorangetrieben haben, krabbelte mich regelmäßig unter meiner Kopfhaut.
Und dennoch bin ich mehr Mensch denn je. Auch mit der Arbeitslosigkeit im Nacken. Ja, ihr Lieben, ich gehöre zu den dämlich grinsenden Muttis, die durch die Gegend spazieren und erzählen, dass sie gerade die beste Zeit ihres Lebens erleben.
Und nein, mein prämaternales Leben war weder öde noch leer. Ich bin den Grand Canyon hinab- und hinaufgestiegen, habe in Marokko den Tupkal erklommen, in Minsk studiert, am Rande des Urals gearbeitet, mit dem Rad die Alpen überquert, im Bolschoi Theater Boris Godunov genossen, in Mostar auf einem Mienengebiet geogecacht.
Ja, ich weiß, was es heißt am Leben zu sein. Doch nichts hat mich lebendiger fühlen lassen als das Lächeln meiner Tochter. Ich könnte stundenlang schwärmen und euch mit meinem Glück zuschwallen.
Bis ihr brechen müsst.
Einklang mit mir selbst!
Woran ich das merke? Während meiner Zeit als Bildungsreferentin habe ich viel mit Jugendlichen über Identität und die eigene Rolle in der Gesellschaft diskutiert. Als Einstieg machten wir immer eine kleine Assoziationsübung.
Dazu sollte man acht Rollen benennen, die man im Alltag einnimmt. Zum Beispiel Tochter, Sportlerin, Bloggerin und sie anschließend priorisieren. Selbstverständlich habe ich mit Kolleg*innen die Übung vorab selbst durchgespielt. Ich definierte meine Zugehörigkeiten als Tochter, Freundin, Radfahrerin, Schwester, Bildungsreferentin, Läuferin, Bloggerin und Lebensgefährtin.
Anschließend galt es, in drei Schritten jeweils zwei Zugehörigkeiten aufzugeben, deren Bedeutung geringer war als die der verbliebenen.
Nacheinander entfernte ich sechs Karten. Schließlich blieben bezeichnenderweise die Rollen Bildungsreferentin und Lebensgefährtin übrig. Als Letztes sollte man zwischen diesen beiden wählen. Zögerlich, doch letztlich warf ich die Karte Lebensgefährtin weg. Meine berufliche Selbstverwirklichung bedeutete alles.
Und jetzt? Jetzt steht auf der letzten Karte: Mutter.
Vielleicht urteile ich in einem halben Jahr anders. Vielleicht wird mir langweilig und ich giere nach Bildung und Schaffen. Doch jetzt erfüllt mich nichts mehr und vermittelt mir mehr Vertrauen in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als das Lächeln meiner Tochter.

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